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Die Listensammlerin

Die Listensammlerin

Titel: Die Listensammlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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die Suche nichts ergeben. Frau Belkina sei nicht gesichtet worden, auch befragte Zeugen im Umkreis von drei Kilometern – wie weit kann so eine Alte schon kommen mit ihrem Gehstock, hörte ich im Kopf den Langsamredenden zu dem Hundeführer sagen und dachte: Hatte sie ihren Gehstock überhaupt dabei? – hätten nichts zu berichten gewusst. Die Suche gehe selbstverständlich weiter.
    Er sagte, wir müssten hoffen und warten, vor allem aber müssten wir nach Hause gehen und uns ausruhen, sie hätten ja alle unsere Nummern. Und dann gab er meiner Mutter die Hand, die Franks Arm für den Händedruck losließ und ihn noch einmal bat, sie schnellstmöglich zu informieren, sobald man etwas wüsste, obwohl er ihr ebendies gerade versprochen hatte, und er gab Frank die Hand, der sich die Mühe machte, seine eigene auszustrecken. Mir gab der Polizist nicht die Hand, ich stand ja auch nur daneben und sagte nichts, mir nickte aber die Polizistin zu, bevor sie hinter den anderen den Raum verließ.
    Wir waren allein, zu dritt, als die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel, der mich zusammenzucken ließ, obwohl ich diesmal vorbereitet gewesen war.
    «Wir können nichts tun, außer warten», sagte Frank.
    «Ja, wir müssen warten. Und beten», echote meine Mutter.
    Ich wollte gerne etwas zerschlagen oder zumindest die Tür noch einmal zuknallen, weil ich schon seit geraumer Zeit das Gefühl hatte, etwas anderes tun zu wollen und zu müssen, als zu warten und zu beten.
    Draußen wurde es hell, ich wollte nach Hause und mich ins Bett legen, nur noch ins Bett, nicht einmal mehr an meinen Listen arbeiten, ich wollte das ganze Bett für mich alleine, meine Beine und Arme unter der Bettdecke ausstrecken und einfach die Augen schließen und das kühle Laken und die Dunkelheit spüren. Es war inzwischen kurz nach sechs, meine Großmutter war weggelaufen, es waren noch drei Tage bis zur OP .

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    Zwölftes Kapitel
    Aufschreiben in der Liste «Szenen für ein Buch»: ein Sohn, der seinem sterbenden Vater von seinem neugeborenen Sohn erzählt (drei Generationen).
    Der Tod lebte bei ihnen, seit mehreren Wochen nun schon. Der Tod war dunkel, wie sollte er auch sonst sein, und stank bestialisch. Seine Mutter hatte die Fenster in ihrem Zimmer mit Decken abgehängt, es war finster, morgens wie nachmittags wie abends wie nachts, sein Vater hatte gesagt, er ertrage kein Licht mehr. Er hatte tatsächlich das Wort «ertragen» verwendet, sein Vater, der sein Leben lang Zementsäcke geschleppt und gemeißelt und gespachtelt und Wände gestrichen und Pläne erfüllt und das getan hat, was andere ihm sagten. «Ertragen», Grischa wunderte sich, dass sein Vater das Wort überhaupt kannte. Damit sie dann, wenn sie Fieber maß oder ihm Medikamente einzuflößen oder ihn zu überreden versuchte, ein wenig zu essen oder einen Schluck («und jetzt noch einen zweiten») zu trinken und später sich dieses wenigen Getrunkenen und Gegessenen zu entledigen, wenn sie ihn wusch, steckte seine Mutter manchmal die Stehlampe, die neben der Anrichte stand, in die Steckdose. Über der Stehlampe hing eine Decke, sie gab schummriges, trauriges, abgestandenes Licht. Er betrat ungern und selten das dunkle Zimmer. Sein Vater war, schon Wochen bevor er kein Licht mehr ertragen konnte, bevor er in dieses Zimmer eingezogen und sich zum letzten Mal in sein Bett gelegt hatte, weil er nicht mehr vorhatte, es jemals zu verlassen, zu einer abgemagerten Kontur seines Ichs verkommen.
    Seit sein Vater sich zum Sterben hingelegt hatte, lebte der Tod bei ihnen. Seit er am ersten sonnigen Tag in jenem hartnäckigen Winter aus dem Krankenhaus zurückgekehrt war, die Mutter und der Bruder hatten ihn abgeholt, seine Schwester hatte Gott weiß wo Fleisch aufgetrieben und eine kräftigende Kohlsuppe gekocht, und Nikolaj Petrowitsch hatte «mit seinen eigenen Händen» (worauf er den Rest des Abends mehrmals aufmerksam machte) die Wohnung geputzt, und die Frau von Nikolaj Petrowitsch hatte einen Apfelkuchen gebacken (und seine Mutter keinen). Auch Toscha, die wegen des Säuglings nicht kommen durfte, hatte Kuchen geschickt, und er war zu spät, später nämlich als sein Vater nach Hause gekommen. (Er hatte Sergej getroffen, aber das sagte er natürlich nicht, er sagte, der Metzger habe ihn nicht gehen lassen, zu viel Arbeit, und Nikolaj Petrowitschs Frau hatte gefragt, was für einen Sinn es hätte, dass er beim Metzger arbeitete, wenn er kein Fleisch mitbrachte, das

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