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Die Listensammlerin

Die Listensammlerin

Titel: Die Listensammlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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also mir zum Beispiel wünschte, dass er ruhelos neben dem Telefon saß, durch die Wohnung tigerte, mir liebevolle, aufmunternde Nachrichten schickte, aber auch darüber nachzudenken, war ich zu müde, er hatte zum Abschied gesagt, ich solle ihn anrufen, sobald ich etwas wisse, das Telefon und das Handy lege er neben das Bett.
    Meine Mutter kam zurück, ohne Frank.
    «Er kommt gleich. Er wäscht sich das Gesicht mit kaltem Wasser», erklärte sie, und ich wollte fragen, wie lange denn, wie lange wäscht er sich das Gesicht, und fragte stattdessen, wie es ihm ginge.
    «Wie soll es ihm gehen? Er macht sich Sorgen. Was denkst du denn? Wie soll es ihm jetzt gehen?»
    «Ja, er schien sehr besorgt zu sein. Ganz fertig. So kenne ich ihn gar nicht. Weil er sich doch nicht so leicht aus der Ruhe bringen lässt. Gelinde gesagt.»
    «Natürlich macht er sich Sorgen. Es ist seine Schwiegermutter», erklärte mir meine Mutter, als wüsste sie alles und ich nichts.
    «Ja, aber …» Mir fehlten die Worte, um den Gedanken so zu formulieren, dass ich meine Mutter nicht verletzte. Ich staunte wie immer, wenn mir die Worte fehlten, Worte sind doch mein Metier, was nach zu wenig klingt, weil Worte doch alles sein müssten für jemanden, der schreibt, wenn nicht Worte, was dann?
    Ich setzte noch einmal an: «Frank schien nie … Ich meine, Frank und Großmutter haben sich immer gut verstanden, aber sie … Sie waren nie die besten Freunde. Ja, sie ist seine Schwiegermutter, aber … also ein besonderes Verhältnis zwischen den beiden …»
    Da sie mich entsetzt anschaute, was immerhin ein klein wenig besser war als verletzt, ließ ich es sein.
    «Frank hat deine Großmutter errettet. Du weißt nicht, wie er sie errettet hat. Er wird immer auf sie achtgeben.»
    Ich war müde und nahm das «Errettet» hin, ich hatte es schon unzählige Male gehört, ich war so müde, dass mir das «Du weißt nicht» erst auffiel, als ich Frank den Flur entlangkommen sah. Seine Haare klebten nass an der Stirn, er sah so müde aus, wie ich mich fühlte, er ging langsamer als sonst, unsicherer. Immer hatte ich gedacht, dass Franks lange, schlaksige Beine wirkten, als liefen sie ihm davon, als seien sie schneller als der Rest des Körpers, als der bedächtige Frank selbst. Heute schienen die Beine sich ihm anzupassen, was mich beklemmte. Hinter mir ging die Tür zur Wohnungseinheit auf, ich zuckte zusammen und drehte mich um. Drei Polizisten betraten den Raum, einer von ihnen führte tatsächlich einen Hund bei sich. Ein Deutscher Schäferhund, der sofort Sitz machte, als der Polizist stehen blieb, und der nicht so aussah, als wolle er gestreichelt werden.
    «Frau Meiner? Dr. Meiner?», fragte ein Polizist, aber Frank und meine Mutter waren schon aufgestanden und gingen auf sie zu. Meine Mutter hielt sich mit beiden Händen an Franks Arm fest, der diesen hängen ließ, und auch wenn er meine Mutter um zwei Köpfe überragte, hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, als könne er ihr keinen Halt geben, weil er selbst etwas zum Festhalten brauchte. Vielleicht hielt meine Mutter aber auch ihn fest, dachte ich und blieb mit den Gedanken an ihnen hängen und starrte ihre Hände und seinen Arm an, anstatt mich den Polizisten vorzustellen.
    Der Polizist, der sprach, die anderen schwiegen nur, auch die Beamtin, die im Sessel eingeschlafen war und nun schweigend neben ihnen stand, sprach auffällig langsam, zog jedes Wort in die Länge. Tat er das, weil er nun mal so sprach, so wie Frank immer leise sprach und Flox immer mit einem Hauch Ironie und Katha grundsätzlich zu schnell, oder sprach er so, weil er es gelernt hatte, in einem Seminar zu Sensibilität gegenüber Angehörigen von Opfern, Vergewaltigungsopfern, Unfallopfern, Gewaltopfern, Todesopfern: langsam, aber auch geradlinig, damit sie alles kapieren? Damit sie der Wahrheit ins Gesicht blicken müssen, was sie nicht wollen? Auch ich wollte nicht, wahrscheinlich blieb mein Blick auch deshalb an Franks Arm hängen und an den Händen, die diesen Arm umfassten, den Händen meiner Mutter, zwei Hände, zehn Finger, an denen insgesamt drei Ringe steckten, ein Ehering, ein schlichter, breiter Goldreifen, einer aus Weißgold mit einem kleinen Diamanten, den sie ebenfalls immer trug, ein Geschenk Franks zu ihrem fünfzigsten Geburtstag, und ein bronzener mit einem hellgrünen Stein. Im Kopf trug ich diese Szene in meine Liste filmreifer Szenen aus meinem Leben ein.
    Der Polizist sagte, bisher habe

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