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Die Listensammlerin

Die Listensammlerin

Titel: Die Listensammlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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mehr als drei Menschen zugegen waren, noch kein einziges Mal hatte Sascha vor der Versammlung gesprochen, obwohl er gute Ideen hatte, kluge Ideen, und er selbst musste sehr aufpassen, dass er die Sascha nicht klaute, nur weil er gern und gut vor Publikum sprach und Sascha eben nicht. Zwischen Sascha und seiner Schwester wäre nichts, wenn er nicht gewesen wäre. Er stellte sich vor, er müsste in Saschas Namen einen Heiratsantrag machen, vor seiner Schwester auf die Knie fallen. Wenn er nicht gewesen wäre, hätten sie niemals alle Biologiebücher in der Bibliothek bewältigen können, weil Sascha all diejenigen, die er um Hilfe bitten wollte, nicht angesprochen hatte, noch nicht einmal Hasenkopf und Kostja, die er wirklich gut kannte. Aber mit Toscha und allen anderen hatte Sascha also gesprochen, mit denen schon! Er lachte. Bitter. Und böse.
    «Sascha passt auf mich auf. Na dann dürftet ihr ja alle beruhigt sein.»
    «Beruhigt?» Toscha kreischte plötzlich, schrill und laut, und Grischa fuhr zusammen, er war sich so sicher gewesen, das Tempo dieser Unterhaltung vorgeben zu können, es war doch nur Toscha. Aber jetzt kreischte sie und wurde mit jedem Wort hysterischer und kam ihm körperlich so nahe, dass er einen Schritt zurückweichen musste und die Drehregler vom Herd im Rücken spürte. «Beruhigt?», kreischte Toscha. «Was sollte daran beruhigend sein? Weißt du, wann das Gespräch stattgefunden hat? Weißt du, wann das war? Sag mir, weißt du, wann das war?», und er wusste es natürlich nicht, weil ihn allein schon die Vorstellung überforderte, dass es überhaupt stattgefunden haben soll. Wo war er gewesen? Unterwegs natürlich. Hatten sie es geplant, hatte ihn jemand unauffällig gefragt – seine Schwester zum Beispiel, weil das nicht weiter auffallen würde, sie nervte ihn ständig –, ob er an dem Abend zu Hause sein würde? Natürlich wäre die Antwort nein gewesen, sie hatten deshalb vielleicht auch gar nicht gefragt. Hatten sie Sascha eingeladen, hatte seine Mutter Sascha eingeladen, oder hatte sie Anastasia gebeten, es zu tun? War Toscha dabei gewesen, hatte Toscha, die jetzt vor ihm stand und so laut und hysterisch kreischte, das Laute hätte er ihr gar nicht zugetraut (das Hysterische schon), etwa tatsächlich daran teilgenommen, obwohl das bedeuten würde, dass sie den Säugling anderen Menschen, also Viren ausgesetzt haben musste? War ihr dieses Gespräch, bei dem Sascha gesprochen hatte, so wichtig gewesen? Oder hatte Andrej ihr nur davon berichtet? Hatten sie gegessen, oder war es ein Familienrat gewesen, bei dem alle mit ernsten Mienen im Zimmer saßen? Hatte sein Bruder noch Stühle aus der Küche geholt (was bedeuten würde, dass das Gespräch stattgefunden hatte, bevor der Tod bei ihnen eingezogen war und das Zimmer abgedunkelt werden musste)? Er versuchte, es sich vorzustellen, es fiel ihm schwer, was eine Sensation war, weil es ihm an Phantasie nie mangelte, er liebte es gar nicht, überfordert zu sein. Er sagte nichts, weil er sich darauf konzentrierte, die Einzelheiten dieses Gesprächs, wie er es sich vorstellte, vor sein inneres Auge zu zwingen, sicher hatten sie Sascha auf einen Stuhl gesetzt, ihn alle angeblickt und so lange ihre Fragen gestellt, bis es ihm nicht mehr möglich gewesen war, seine Hausschuhe zu studieren, und er ihnen leise und langsam geantwortet hatte, so leise, dass alle innehalten mussten, um ihn zu verstehen.
    Sein Schweigen fasste Toscha als Beschämung auf, den Ärger in seinen Augen übersah sie, weshalb sie den Rückzug antrat und nun ruhig und fast schon theatralisch bedeutungsvoll sagte: «Es war der Abend, an dem dein Vater ins Krankenhaus kam. Der Abend war es.»
    Er brauchte einen Augenblick, bis er sich von den blauen Hausschuhen in seiner Vorstellung riss, die Sascha in dieser Vorstellung verzweifelt und verbissen anstarrte, und den Sinn ihrer Worte verstand.
    «Willst du sagen, ich bin schuld daran, dass er ins Krankenhaus gekommen ist? Dass er krank ist? Er hat Krebs. Lungenkrebs. Ich kann viel, aber ich kann keinen Krebs verursachen.»
    «Ja, du kannst viel.»
    «Ich kann keinen Krebs verursachen.»
    «Nein. Aber deine Eltern, deine Familie krank machen kannst du. Andrej ist immer krank vor Sorge um dich. Vor Sorge um deine Mutter, die krank ist vor Sorge um dich. Um deinen Vater, der krank ist. Und du – dir ist alles egal. Du musst immer weg. Irgendwohin, und keiner weiß, wohin. Wer bist du?»
    Sie starrten sich an. Er hatte keine Lust zu

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