Die Listensammlerin
antworten, und sie schien alles gesagt zu haben, was sie wahrscheinlich schon eine ganze Weile hatte sagen wollen, und Timoschka, der Kleine, grinste ihn an, so gut er es als Säugling konnte, und er musste sich selbst daran erinnern, warum er eigentlich hier war. Ach ja.
«Ich wollte dich fragen, ob Mama vielleicht mal auf Timoschka aufpassen könnte oder mit ihm spielen oder ihn spazieren fahren. Ich habe mir gedacht, dass es ihr guttun würde, weil sie so müde ist und etwas Positives braucht. Ich habe mir gedacht, Timoschka ist das Beste, was man ihr schenken könnte», sagte er ganz ruhig, als hätte sie ihn nicht eben noch laut und hysterisch beschuldigt.
Toscha schwieg, also fügte er hinzu (und bekam es leider nicht hin, so überzeugt zu klingen, wie er wollte): «Sie ist seine Großmutter. Eine Großmutter sollte mit ihrem Enkel spielen können.»
«Ja, du hast recht. Aber jetzt … Später. Ich will nicht, dass Timoschka mit der Krankheit in Kontakt kommt. Mama übrigens auch nicht», erklärte Toscha.
«Aber», und endlich klang seine Stimme wieder so, wie er sie haben wollte, «Krebs ist nicht ansteckend. Mama ist nicht ansteckend. Sie könnte auch herkommen, wenn du willst. Du musst nicht mit ihm dahin», und er verkniff sich die Frage, warum es in Ordnung war, Timoschka dorthin zu bringen, um über ihn, ihn und das, was er war, und wo er war, und warum er dort war, zu sprechen, mit Sascha darüber zu sprechen, aber nicht, damit seine Großmutter mit ihm zusammen sein konnte, bis ihm einfiel, dass das Gespräch ja an dem Abend stattgefunden hatte, an dem sein Vater ins Krankenhaus gekommen war. Sie hatten noch nicht gewusst, dass man bald – wann, in ein, zwei Stunden? Mitten in diesem Gespräch? Ihm fiel auf, er hatte nie gefragt, wer hatte den Krankenwagen gerufen, in welchem Moment? Ein Krankenwagen musste gerufen werden, der seinen Vater auf einer Trage mitnehmen würde, und bald darauf würde sein Vater zurückkehren, nicht mit der Metro, sondern mit einem Taxi und der Hilfe seines Bruders, an den er sich lehnen musste und der ihn die Treppe hinaufschleppte, weil der Aufzug mal wieder streikte (das hatten ihm seine Schwester sowie die Frau von Nikolaj Petrowitsch unaufgefordert berichtet). Nicht weil er im Krankenhaus wieder geheilt worden und nun gesund wäre, sondern weil die Ärzte ihn einmal aufgeschnitten und wieder zugenäht hatten, «inoperabel», ein neues Wort in seinem aktiven Wortschatz, sein Vater hatte seinen vorletzten Wunsch geäußert, er wollte zu Hause sterben (der letzte war: das Licht nicht hereinzulassen).
«Krebs ist nicht ansteckend!», wiederholte er noch einmal, und lieber hätte er wiederholt, dass er Krebs nicht verursachen konnte, auch wenn er Sorgen und Angst und Kopfschütteln und vielleicht sogar Tränen verursachte.
«Ein Säugling sollte mit Krankheiten und Tod nicht in Begegnung treten», sagte Toscha ungelenk, als käme sie vom Land. Kam sie ja auch, aus Jakutsk, und er wunderte sich, dass er sich noch an den Ort erinnern konnte.
«Mama denkt das auch», schickte sie nach, wohl um dem Nachdruck zu verleihen, und so blickte sie jetzt auch, als hätte sie das Gespräch gewonnen.
«Also darf sie ihren Enkel nicht sehen, bis wann? Bis Vater gestorben ist? Und danach?», fragte er leicht zynisch. Es hatte keinen Sinn, und eigentlich, fiel ihm jetzt auf, hatte er das im Vorfeld schon gewusst, aber ihm war auch nichts anderes eingefallen, womit er hätte helfen können. Im abgedunkelten Zimmer sitzen, den Nachttopf auswischen, füttern, schweigen, da sein, das war alles nichts für ihn.
«Mama versteht das alles. Sie denkt auch so.»
«Alles klar. Dann also, wenn er tot ist. Nach dem Begräbnis!», sagte er, nicht, weil er hoffte, damit etwas erreichen zu können, sondern weil das letzte Wort rechtmäßig ihm gehörte, schon immer. Er zwinkerte ihr zu, um seine Worte zu unterstreichen oder um sie damit zu verwirren, und wollte Richtung Tür gehen.
«Mal sehen!», sagte Toscha.
«Mal sehen was?»
«Mal sehen, was dann sein wird.»
«Was meinst du?» Er drehte sich noch einmal um.
Sie wartete, bevor sie antwortete. Worauf hatte sie gewartet, würde er sich später fragen. Hatte sie Angst gehabt? Warum hatte sie es ihm erzählt?
«Wir werden weggehen. Andrej und ich werden weggehen und Timoschka mitnehmen.» Letzteres fügte sie hinzu, als hätte die Überlegung im Raum gestanden, ohne den Kleinen zu gehen, und wäre dann verworfen worden.
«Ihr werdet
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