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Die Listensammlerin

Die Listensammlerin

Titel: Die Listensammlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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und keine Prospekte sehen, und meine Mutter ließ mich in Ruhe damit, während sie sich ein Heim ansah, eine Betreuungseinrichtung, eine Seniorenresidenz (was schlimmer klang als Altenheim, weil es die Sache verschleierte), bis sie eines Tages dann doch ausrastete:
    «Hör auf! Hör auf mit deiner Moral. Und deiner Überheblichkeit. Du bist nicht da. Du bist in Transsilvanien und in Tansania. Und von überall her bringst du ihr etwas mit, und sie hat keine Ahnung, was das ist und was sie damit machen soll. Jedenfalls bist du nicht da, um nachts zu ihr zu fahren, wenn sie weinend anruft und sich nicht beruhigen kann, weil sie ihre Mutter nicht findet. Und du bist auch nicht da, um den Herd zu putzen, auf dem sie Milch kochen wollte, ohne diese in den Topf zu schütten. Du bist auch nicht da, um den Herd auszumachen. Du bist in Indonesien und kaufst das nächste sinnlose Geschenk. Und solange ich ihren Herd und übrigens mittlerweile auch ihren Hintern putze, ja, das wusstest du noch nicht, das habe ich dir erspart, und du durch Indonesien reist, will ich überhaupt nichts von dir zum Thema Heim hören.»
    Also hatte ich nichts mehr gesagt. Ich war tatsächlich gerade in Kolumbien gewesen, als meine Großmutter umgezogen wurde. Sie hatten ihr ihren braunen Lieblingssessel in ihr neues, kleines Zimmer im Heim gestellt und ihre geliebte orange-schwarz karierte Häkeldecke über das Bett gelegt, die sie auch zu Hause schon immer, schon seit ich denken konnte, jeden Morgen nach dem Aufstehen über ihr Bett gelegt hatte. Sie hatte dabei darauf geachtet, dass man die Bettdecke nicht mehr unter dieser orange-schwarz karierten Häkeldecke sah, dass alle vier Ecken genau auf den vier Ecken ihres Bettes lagen, und immer noch einmal darübergestrichen und mich als Kind weder darauf hüpfen noch darauf sitzen lassen, immer mit dem Verweis «Zum Sitzen gibt es Stühle und Sessel». Und wenn ich eine Sache von meiner Großmutter erben wollte, dann war es diese Decke. Außerdem noch ihre Lieblingskuchenform, die alte, ehemals rote, die Farbe hatte schon vor Jahren angefangen, von der Keramik abzublättern, von den neuen Kuchenformen aus Silikon oder mit Glasboden, die ihr alle jedes Jahr zum Geburtstag schenkten, hielt sie nicht viel: «Das braucht mein Kuchen nicht.» Frank hatte Bilder an die Wände ihres neuen kleinen Zimmers im Heim gehängt, auf den meisten war ich zu sehen (in Indonesien, Tansania usw.), ein Foto von der silbernen Hochzeit meiner Eltern war auch dabei. Ein Foto ihrer eigentlichen Hochzeit besaßen sie nicht, weil bei der Errettung aus der Sowjetunion keiner daran gedacht hatte, Bilder mitzunehmen (eigentümlich, denn die Decke, die ich zu erben gedachte, hatte meine Großmutter eingepackt und mit nach Deutschland gebracht). In den Einbauschrank hatte meine Mutter die Kleidung meiner Großmutter einsortiert, und ich staunte, als ich sah, dass ich die meisten Sachen nicht kannte, meine Großmutter schrumpfte und schrumpfte, und meine Mutter musste also losgegangen sein, um ihr neue Blusen und Röcke zu kaufen und auch Hosen, obwohl meine Großmutter nie Hosen getragen hatte. Die meisten Sachen waren beige, was mich überraschte, meine Großmutter hatte Blumendrucke gemocht, auch knallige Farben wie Gelb und Rot. Ich biss mir auf die Zunge und sagte nichts zu ihrer Farbwahl, denn als sie losgegangen war, um Kleidung für meine geschrumpfte Großmutter zu kaufen, hatte ich irgendwo in Kolumbien in einem Café gesessen, hatte guten Kaffee getrunken und vor mich hin getippt. Meine Großmutter konnte meine Bücher nicht mehr lesen.
    Die Wohnung meiner Großmutter, ihre kleine Anderthalb-Zimmer-Wohnung mit der großen Küche, gaben Frank und meine Mutter trotzdem nicht auf, drei Jahre ließen sie die Wohnung so, als könnte meine Großmutter jederzeit wiederkommen, als sei sie nur im Urlaub, und nur deshalb waren der Kühlschrank leer und die Heizung abgestellt, auch wenn sie, solange sie noch zu Hause lebte, außer ein-, zweimal mit uns, nie in Urlaub gefahren war. Einmal im Monat putzte und lüftete meine Mutter die Wohnung, was mir Frank nebenbei erzählte, und auch ihn fragte ich nicht, warum sie denn diese Wohnung behielten, warum sie sie nicht zumindest untervermieteten, warum sie sie nicht ausräumten. Ich fragte nicht, weil ich es nicht wissen wollte und weil ich auf der anderen Seite wusste, dass auch Frank fand, das hatte er mir einmal gesagt, obwohl er selten so etwas zu mir sagte, dass ich mich zu wenig um

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