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Die Listensammlerin

Die Listensammlerin

Titel: Die Listensammlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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doch glücklich hätte sein müssen, sie war frisch verheiratet und hatte einen netten Ehemann und eine noch nettere Tochter bekommen, nicht glücklich war, weil sie von ihrem Ehemann, der zufälligerweise (also im Grunde gar nicht zufälligerweise) sein bester Freund war und ihr Dinge erzählte (welche Dinge, das durfte er nicht fragen, hatte Sascha gesagt, und da Sascha selten etwas sagte, selten etwas so sagte, fragte er nicht), und sie sich aufgrund dieser Dinge, die sie wusste oder zu wissen meinte, immer mehr Sorgen um ihn, ihren Bruder, machen musste, und vielleicht weinte seine Mutter auch, weil seine Schwester ihr diese Dinge, die sie wusste oder auch nur ahnte, erzählte, auf jeden Fall aber weinte seine Mutter, weil
    sie ihn zum Sohn hatte. Letzteres tat sie schon, seit er denken konnte.
    Er hingegen weinte nie, er wurde nur immer zorniger, auf sie alle, seine Familie, seine Freunde, Sergej, sogar auf Sascha, sogar auf seine kleine Nichte; auf sie war er zornig, weil er, als er zurückgekehrt war, um sie kennenzulernen, und es seinem Kopf erlaubt hatte, das beruhigende Summen der Bienen, der Solitärbienen, der Kuckucksbienen, der Gemeinen Pelzbienen, alle Hoffnungen in dieses kleine, wundervolle Geschöpf gesetzt hatte. Sie möge so viel Freude bringen, dass seine Mutter nicht mehr weinte, dass seine Schwester sich keine Sorgen mehr um ihn machte, und vielleicht sogar Andrej und dessen Frau wieder nach Moskau zogen, damit Cousin und Cousine zusammen aufwachsen könnten (dass sie seinen Vater wieder zum Leben erwecken würde, hatte er nicht von ihr erwartet). Aber alles war wie vorher, vor dem Summen in seinem Kopf, vor dem klaren Himmel, vor den Bienen, die ihr Leben lebten, als gäbe es die anderen nicht, vor Sergejs Körper an seinem, vor Sergejs ausdrucksloser Miene am Bahnhof, die auch jeden Gedanken an ein Lächeln verbot. Seine Mutter weinte, und seine Machtlosigkeit machte ihn zornig.
    Auf Sergej war er zornig, weil Sergej nichts verstanden hatte und weil er abgereist war. Nein, deswegen eigentlich nicht, er hätte nicht bleiben können, wenn er nichts verstand.
    Auf seinen Vater war er zornig, weil er nicht mehr war (und er meinte nicht den Schatten, der im Dunkeln auf den Tod wartete, sondern den stärksten Mann der Welt, der nicht mehr war, der nie viel gesprochen hatte, aber gerne seinen Gürtel aus der Hose herausgeholt hatte, wenn er meinte, erziehen zu müssen, aber eben sein Vater war und außerdem seine Mutter zu beruhigen wusste – wie, das hatte Grischa bis zum Schluss nicht verstanden).
    Auf seine Schwester, weil sie ihn nicht in Ruhe ließ mit ihren Bitten und Tränen und Fragen, vor allem der einen, ob er denn nicht heiraten wolle, ob er Tanja zum Beispiel nicht heiraten wolle, oder eine der anderen Frauen, die ihm nachzulaufen schienen, «Gott weiß, wieso», ob er nicht auch so etwas haben wolle, und sie hatte zu dem eingewickelten Paket genickt, das seine Nichte war (doch, aber das sagte er natürlich nicht laut).
    Auf Tanja, weil sie Tanja war und er sie nicht heiraten wollte und kein Kind mit ihr haben wollte, es wäre so einfach gewesen (obwohl er die einfachen Dinge sonst nicht mochte). Und weil ihr bescheuertes Yoga nicht half.
    Auf seine Mutter, weil sie mit dem Weinen nicht aufhören konnte. Er freute sich schon, wenn er sie mal ohne gerötete Augen oder trocknende oder frische oder strömende Tränen auf den Wangen sah.
    Auf Sascha, weil Sascha seiner Schwester Dinge erzählte und weil Sascha nun in jedem ihrer seltenen – und auch auf das Seltene war er zornig – Gespräche unter vier Augen Worte wie «gefährlich» und «wahnsinnig» und «absurd» verwendete, und auch weil Sascha so selten zu den Treffen kam.
    Auf alle, die zu den Treffen kamen, war er zornig, weil sie nicht Sascha waren (und nicht Sergej), weil die meisten von ihnen viel redeten, aber kaum jemand etwas zu riskieren bereit war und er nicht einen erkannte, mit dem er seinen Plan durchziehen könnte.
    Er würde seinen Plan allein durchziehen. Er plante jetzt seit drei Jahren, aber immer nur im Kopf. Er hatte mit Sascha gesprochen, mittlerweile an die tausend Male, und später mit Sergej, und auch mit Hasenkopf und Kostja, weil er meinte, sie zu brauchen. Sascha hatte ihm widersprochen, immer und immer wieder, und vor kurzem auch seine Stimme erhoben und ihn gefragt, ob er seine Nichte nicht liebte.
    «So tief bist du inzwischen gesunken, dass du sie ins Spiel bringen musst? Eigene Argumente hast du

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