Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Löwin von Aquitanien

Die Löwin von Aquitanien

Titel: Die Löwin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
nichts, was sie mehr bedauerte und als Mangel empfand. Doch Frauen konnten ohnehin kein Troubadour sein. Warum nicht? dachte sie unwillig. Früher, zur Zeit der heidnischen Römer und Griechen, hatte es Dichterinnen gegeben, und sie hatten sogar Schulen gegründet.
    Sappho war die allerberühmteste von ihnen und ihre geheime Heldin.
    Kurz nach ihrem zwölften Geburtstag entdeckte Alienor ein Fragment von Sappho, das sie in seinen Bann schlug:

    Hinabgetaucht ist der Mond und
    mit ihm die Plejaden; Mitte
    der Nächte, vergeht die Stunde;
    doch ich liege allein…

    Sie wiederholte es nachts, immer wieder, denn es schien ihr am besten all die unbekannten, neuen Gefühle auszudrücken, die sie aufrüttelten.
    Nach dem Tod ihrer Mutter war Alienor nun die erste Dame am Hof. Immer schneller entwuchs sie der Welt der Kinder. Sie war noch nicht offiziell mit einem ihrer vielen Bewerber verlobt, doch in diesem Sommer ihres dreizehnten Lebensjahres entschied sich ihr Vater, nach Paris zu ziehen, um dort vor König Louis den Lehnseid zu leisten. Er übergab seinem Freund Geoffrey du Loroux, dem Erzbischof von Bordeaux, die Regentschaft und vertraute Alienor zu ihrem großen Stolz die Hofhaltung an.
    Alienor saß gerade zusammen mit Blédhri in Aenors ehemaligem Gemach und tauschte mit ihm die geistvollen Rätsel aus, die in letzter Zeit Mode geworden waren, als ihre Schwester Petronille hereingestürzt kam.
    »Und was ist tiefer als der tiefste See, Dame Alienor?«
    »Das Herz einer Frau, die ein Geheimnis bewahrt. Jetzt werde ich…«

    »Alienor, Alienor!« Petronille war völlig außer Atem. »Du mußt sofort kommen, es ist etwas Furchtbares geschehen! Aigret«, schluchzte ihre Schwester. »Er ist ganz plötzlich krank geworden, es ist entsetzlich, und…«
    Alienor seufzte. Ungnädig gab sie zurück: »Beruhige dich, Petronille. Er wird sich den Magen verstimmt haben. Morgen schlingt er bestimmt wieder wie…«
    » Nein, du begreifst nicht!« Auf Petronilles Gesicht brannten zwei rote Flecken. »Er ist wirklich krank! Bitte, Alienor, komm und sieh selbst!«
    Alienor fragte sich, was sie an einer Übelkeit ihres verabscheuten kleinen Bruders ändern könnte, aber es schien keine andere Möglichkeit zu geben, Petronille zu beruhigen. »Schön«, sagte sie resignierend. »Gehen wir.«

    Nichts hatte sie auf den Anblick vorbereitet, den Aigret bot. Sein ganzer Körper war aufgeschwollen, er ächzte und krümmte sich ohne klares Bewußtsein auf dem großen Bett, in das man ihn gebracht hatte. Seine Amme und andere Mitglieder seiner persönlichen Dienerschaft standen hilflos umher; einige weinten. Petronille jammerte:
    »Heute morgen war er noch vollkommen gesund, ich verstehe das nicht, ich verstehe das einfach nicht!«
    »Himmel«, sagte Alienor zornig, »hat keiner von euch Verstand genug gehabt, nach einem Arzt zu schicken? Der Araber, der uns letzte Woche seine Aufwartung gemacht hat, muß noch in Poitiers sein - Thibaud, geh auf der Stelle, suche ihn und bringe ihn hierher.«
    Man gehorchte ihr augenblicklich; längst hatten die Bediensteten den Unterschied zwischen der sanften Aenor und ihrer ältesten Tochter festgestellt. Alienor sah wieder zu ihrem Bruder und versuchte sich an das zu erinnern, was sie an Krankenpflege gelernt hatte. Jede Edelfrau mußte etwas davon verstehen. Wirklich fähige Ärzte, worunter fast ausschließlich die zu verstehen waren, die in dem arabischen Teil Spaniens studiert hatten, waren selten. Der alte Herzog hatte eine heftige Abneigung gegen diese ›mörderischen Pfuscher‹
    gehabt und keinen einzigen an seinem Hof geduldet. So oblag die Pflege von Kranken und Verwundeten den Frauen, und Aenor hatte ihre Tochter oft genug zu solchen Gängen mitgenommen.
    »Holt Wasser, wickelt ihn in feuchte Laken und flößt ihm auch etwas zu trinken ein. Wenn wir Mohnsaft im Palast haben, gebt ihm davon; falls nicht, sendet jemanden zu einem der Klöster und bittet darum. Aber sagt um Gottes willen nicht, wofür - sonst weiß in einer Stunde die ganze Stadt Bescheid!«
    Sie wandte sich Petronille zu, die unbeherrscht schluchzte, packte sie bei den Schultern und drückte sie auf den nächstbesten Schemel.
    »Sei still, Petronille. Wenn du etwas tun willst, dann gib ihm zu trinken, aber sei still!« Petronille starrte ihre Schwester fassungslos an, sagte aber nichts, und Alienor dankte dem Himmel dafür. Es war ein Glück für Aigret, dachte sie mit einem Anflug von Zynismus, daß sie ihn nie gemocht

Weitere Kostenlose Bücher