Die Löwin von Aquitanien
gehofft, wenn sein Vater nicht mehr da wäre, wäre auch diese Gefühlsverwirrung erloschen, mit der er nie fertig geworden war, jene gewalttätige Mischung aus Haß und Liebe, die allein sein Vater auszulesen imstande war. Doch er hätte es schon wissen müssen, als er ihn stürzen sah, seinen unzerstörbaren Vater: Er war bis an alle Ewigkeit an diesen Mann gekettet, der ihn nun noch mächtiger umklammert hielt, da er tot war.
Als Alienor eintrat, erschrak sie beim Anblick ihres Vaters. Er glich nun dem alten Herzog auf unheimliche Weise, doch fehlte ihm völlig jene Aura überschäumender Lebensfreude, die Guillaume IX
noch bis zu seinem Tod begleitet hatte. Impulsiv fragte sie: »Vater, was ist Euch? Wieder Toulouse? Oh, ich wünschte, ich wäre ein Mann, dann würde ich selbst dort hinziehen und sie für Euch besiegen!«
»Ich zweifle nicht daran«, erwiderte er und lächelte leicht. »Deine Lehrer berichten mir, daß du mit ihnen sogar über Cäsars Strategie im Gallischen Krieg streitest.«
»Ach, Pater Jean ist so…«
Guillaume hob die Hand und gebot ihr Schweigen. »Der König von Frankreich hat erneut für seinen Sohn um dich angehalten«, sagte er. »Ich dachte, sein Sohn sei tot«, meinte Alienor verwundert. Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Philippe ist tot. Aber er hat noch einen zweiten Sohn, Louis, der eigentlich zum Priester bestimmt war und jetzt der neue Thronfolger ist. Wie auch immer, König Louis hat diesmal sein Schreiben mit einem neuen Angebot bereichert. Er verspricht mir Waffenhilfe und öffentliche Ächtung von Toulouse durch die Krone, allerdings nur, wenn ich nach Paris reise und ihn offiziell durch einen Eid als meinen Lehnsherrn anerkenne.« Er zuckte die Achseln. »Dem Namen nach ist er es ohnehin, und es wäre nur eine Geste, die sein Ansehen in der Öffentlichkeit heben würde.«
Alienor nagte an ihrer Unterlippe. Sie erinnerte sich noch, oder vielleicht hatte man es ihr auch oft genug erzählt, daß ihr Großvater immer stolz daraufgewesen war, daß seit hundert Jahren kein Herzog von Aquitanien mehr den Lehnseid geleistet hatte. »Habt Ihr Euch schon entschlossen, Euer Gnaden? « fragte sie vorsichtig. »Es heißt immer, Euer Vater hätte die Nachteile einer solchen Heirat…«
»Er ist tot«, sagte Guillaume schärfer, als er es beabsichtigt hatte.
Gemäßigter fuhr er dann fort:
»Selbstverständlich gibt es noch andere Heiratsanträge. Neben den bedeutungslosen wäre da vor allem der aus England zu beachten.
Stephen, der Neffe des Königs, hat schon Raymonds Stellung dort vermittelt, was wohl so eine Art Vortasten war. Jeder weiß, daß er der nächste König werden will, und er braucht dringend Verbündete.«
»Aber er muß doch schon entsetzlich alt sein«, platzte seine Tochter heraus. Zum ersten Mal seit langem brach Guillaume in lautes Lachen aus. Schließlich sagte er: »Er ist nur ein paar Jahre älter als ich - wirklich uralt.«
Er räusperte sich. »Der eigentliche Grund, warum ich mit dir darüber gesprochen habe, Alienor, ist folgender: Ich nehme an, daß jetzt sowohl Louis als auch Stephen versuchen werden, Leute aus deiner Umgebung zu bestechen, damit sie dir Gutes über die jeweiligen Freier erzählen, und du bist alt genug, um das zu merken. Achte darauf und sage mir dann, wer es ist. Auf diese Art lernen wir die Spione in unserer Dienerschaft und bei Hofe kennen.«
Alienor nickte. Bestechung und Verschwörung waren für sie nichts Ungewöhnliches, sie gehörten zum Alltag des Hofes, an dem sie aufwuchs. Beispielsweise versuchte ihre Großmutter Dangerosa immer wieder durch derartige Mittel, wieder Einfluß zu gewinnen, damit sie ihrem Exil auf dem Lande entkommen konnte. Alienor wußte, daß sie damit entlassen war, und knickste. »Ich werde daran denken, Vater.«
Als sie die große Halle verlassen hatte, begann sie schneller zu laufen. Ihr war ein neues Argument eingefallen, mit dem sie Pater Jean ärgern konnte.
Mit der Zeit zeigte auch ihr Körper, daß Alienor eine Frau wurde.
Sie hatte die Lieder der Troubadoure geliebt, doch nun schienen sie eine neue Bedeutung anzunehmen, und während sie bisher von dem Geschwätz ihrer Damen nur ungeduldig geworden war, lauschte sie nun halb widerwillig und halb neugierig. Was wissen sie, das ich nicht weiß?
Sie begann heimlich, ebenfalls Gedichte zu schreiben, doch sie schwor sich, sie nie jemandem zu zeigen. Überdies hatte sie kein Talent, um selbst zu singen, keine geeignete Stimme, und es gab
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