Die Löwin von Aquitanien
keine Sicherheit mehr, und ihre Welt hatte sich jäh mit drohenden Schatten verdunkelt. Sie hätte sich allerdings lieber die Zunge abgebissen, als ihre Furcht jemandem anzuvertrauen. Am Ende entschied sie sich, in den nächsten Tagen bei Petronille zu schlafen; seit dem Tod ihrer Mutter hatten sie kein Zimmer mehr geteilt. Petronille saß auf ihrem Bett und starrte ins Leere, als Alienor eintrat. Sie schaute auf. »Was willst du?« murmelte sie tonlos. Ihre Augen waren rot, und Alienor fiel zum ersten Mal auf, daß Petronille mit ihrem dunklen Haar und dem leidvollen Zug um den Mund der toten Aenor glich. Sie setzte sich zu ihrer Schwester und legte ihr einen Arm um die Schulter.
Petronille rückte ein wenig von ihr ab. Vorwurfsvoll sah sie ihre Schwester an und sagte mit bebender Stimme: »Sieben Jahre… er ist nur sieben Jahre alt geworden, und behaupte nicht, daß dir das leid tut! Du hast ihn nie geliebt! Du bist ein Ungeheuer!«
Alienor seufzte. »Nein, ich habe ihn nicht geliebt«, antwortete sie aufrichtig. »Und es tut mir nicht leid, daß er tot ist, nicht auf die Art, wie du meinst. Aber es tut mir sehr leid, daß er so sterben mußte, und… und mir tut der Schmerz leid, den sein Tod dir und unserem Vater bereitet«, schloß sie mit leiser Stimme.
Petronille brach erneut in Schluchzen aus, und während Alienor sie umarmte und sie tröstete, versuchte sie, die Schatten zu vergessen die unsichtbare Drohung, die jetzt im Dunkeln lauerte.
II
Louis
Jedoch Fortuna will nicht ruhn;
Sie dreht ihr Rad nach kurzer Stund,
Der steigt, der andre fällt zu Grund:
So ging’s auch diesen beiden…
Marie de France
Raoul de Vermandois brachte seinen Rappen zum Stehen und wandte sich um. Der Brautzug, der sich im Juni 1137 durch Aquitanien bewegte, bestand aus fünfhundert Mann und war nicht nur mit augenfälligem Prunk und Geschenken, sondern auch mit Lebensmitteln reichlich ausgerüstet, denn jenseits der Loire besaß der König von Frankreich keine Domäne mehr. Und es wäre doch wirklich schade, dachte der Graf de Vermandois spöttisch, wenn der Dauphin auf dem Weg zu seiner Braut gezwungen wäre zu betteln oder zu plündern.
Raoul de Vermandois befehligte die Soldaten des Zugs, doch der wirkliche Anführer war eine kleine, rundliche Mönchsgestalt, die neben dem päpstlichen Legaten ritt und nun näher kam. Abt Suger ist ein Emporkömmling, dachte de Vermandois grimmig, und zwar einer ganz besonderer Art. Nicht nur hatte Suger es vom Sohn eines Leibeigenen bis zum Abt von Saint-Denis gebracht, nein, er war auch einer der vertrautesten Ratgeber des Königs, und der Thronfolger war unter seiner Obhut aufgewachsen, so daß auch Sugers Zukunft gesichert schien. Wenngleich man, wie Raoul de Vermandois zugab, Suger zugute halten mußte, daß er nicht hatte wissen können, daß der älteste Sohn des Königs vom Pferd stürzen und dadurch der Klosterschüler Louis eines Tages König von Frankreich werden würde. Dennoch ärgerte ihn die selbstzufriedene Miene des Mönchs.
Er trieb sein Pferd zu Suger, in der Absicht, ihn etwas zu reizen.
»Wahrhaftig, Vater«, redete er ihn lächelnd an, »was habt Ihr dem Allmächtigen versprochen, daß er uns so mit Wundern gesegnet hat?«
»Ich weiß nicht, was Ihr meint«, erwiderte der Mönch mit einem Stirnrunzeln, das Mißbilligung ausdrückte. Der Graf de Vermandois hüstelte. »Ach, kommt schon, Vater, ist es nicht wirklich wundersam, daß den Herzog von Aquitanien auf seiner Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela aus heiterem Himmel plötzlich eine Krankheit heimsucht und er trotz seines schnellen Todes noch die Zeit gefunden hat, eine Botschaft an seinen lieben Freund Louis, den König von Frankreich, zu schicken, es sei sein letzter Wunsch, daß seine Tochter mit unserem Dauphin vermählt werde?«
»Der König ist der Lehnsherr des Mädchens«, entgegnete Suger scharf, »als solcher hat er ohnehin die Pflicht, sich ihrer anzunehmen, und welch besseren Weg gäbe es, sich seines Schutzes endgültig zu versichern, als sie seinem Sohn anzubieten? Und ein Mädchen von fünfzehn Jahren braucht dringend Schutz und Verbündete; es ist kein Wunder, daß der Herzog das erkannt hat, und man sollte meinen«, schloß er beißend, »daß der Herr sogar Euch mit genügend Verstand gesegnet hat, um es zu begreifen.«
Raoul de Vermandois dachte ärgerlich, daß er sich das nicht bieten zu lassen brauchte. »Ich glaube, Ihr leugnet das Wundersame allzu rasch«, antwortete er
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