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Die Löwin von Aquitanien

Die Löwin von Aquitanien

Titel: Die Löwin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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hatte, denn die Menschen, die ihn liebten, waren hier reichlich wenig von Nutzen!
    Erst als allen ihren Befehlen Folge geleistet worden war, kam ihr wirklich zu Bewußtsein, was Petronille vorhin gesagt hatte, und ihr Atem beschleunigte sich unwillkürlich. Heute morgen war Aigret noch vollkommen gesund gewesen. Es gab ihres Wissens keine Krankheit, die so schnell und ohne Vorzeichen zuschlug, es sei denn… Ihre Knie wurden schwach, und jetzt verspürte sie das Bedürfnis, sich setzen zu müssen. Aber sie hatte keine Wahl, sie mußte es selbst überprüfen, denn wenn sie ihren Verdacht äußerte, würden diese törichten Mädchen hier erneut in Tränen ausbrechen und voller Angst davonlaufen.
    Sie näherte sich widerwillig ihrem Bruder, schlug die Decke zurück - wenigstens hatte jemand daran gedacht, ihn zu entkleiden - und untersuchte sorgsam seinen ganzen Körper nach Anzeichen der gefürchtetsten aller Krankheiten - der Pest. Doch es gab keine Beulen; sie bekreuzigte sich unwillkürlich. Nicht der Schwarze Tod.
    Es hätte eine Beruhigung sein sollen, doch nun mußte sie auch die zweite Möglichkeit prüfen. Während sie Aigrets rasselndem Atem lauschte, überlegte sie, wer wohl dabei gewinnen könnte, wenn er den einzigen Sohn des Herzogs von Aquitanien vergiften ließ. Alienor besaß eine rege Phantasie und hörte täglich Geschichten von Fürsten, die sich gegenseitig umbrachten, so daß ihr, mit Aigrets plötzlicher Krankheit vor Augen, diese Vorstellung nur allzu wahrscheinlich schien.
    Konnte es eine Tat der Toulousaner sein? Aber ein Kind? Sie würden sich doch gewiß nicht an Aigret, sondern an seinem Vater rächen… Wer zöge Nutzen aus Aigrets Tod? Es überlief sie eiskalt.
    Ich, dachte sie. Ich wäre wieder Erbin von Aquitanien… ich und der Mann, den ich einmal heiraten werde.
    Der alte englische König war inzwischen verstorben, und obwohl er seine Tochter als Erbin eingesetzt hatte, hatte sich sein Neffe Stephen zum König erklärt, was sofort zu einem Bürgerkrieg geführt hatte. Konnte es sein, daß Stephen aus der Bedrängnis heraus seinem Bündnis mit Aquitanien ein wenig nachhelfen wollte, besonders, da Guillaume nun eher Frankreich zugeneigt schien? Oder zeigte sich hier der Arm des Königs von Frankreich? Aber nach allem, was Alienor von ihm gehört hatte, konnte sie sich das nicht recht vorstellen.
    Keiner hielt Louis für einen Mann, der zu Meuchelmord neigte; sein fester Glaube, seine Frömmigkeit, die ihn bewogen hatte, einen seiner Söhne für das Kloster zu bestimmen, waren allgemein bekannt.
    Doch wer wollte so genau wissen, was ein fremder Mensch alles fertigbrachte…
    Sie war erleichtert, als der arabische Arzt eintraf, auch wenn er sie wie alle anderen weiblichen Wesen im Raum auf geradezu beleidigende Weise ignorierte. Doch Alienor war dieses Verhalten durchaus vertraut. Aquitanien unterhielt seit langem rege Handelsbeziehungen zu den benachbarten spanischen Königreichen, und sie hatte Vertrauen in die arabische Heilkunst.
    Der Arzt untersuchte Aigret mit ernstem Gesicht, ließ dann aus seinen mitgebrachten Kräutern einen Trank bereiten und fragte stirnrunzelnd, ohne jemanden Bestimmten anzusehen: »Ist denn kein Mann mit Verantwortung hier, mit dem ich sprechen kann?«
    Kühl entgegnete Alienor: »Ich werde nach dem ehrwürdigen Erzbischof senden.«
    Sie schämte sich, daß sie nicht gleich daran gedacht hatte, doch andererseits hätte sich alles immer noch als harmlos herausstellen können, und dann, beschwichtigte sie sich innerlich, wäre der Erzbischof umsonst belästigt worden.
    Als Geoffrey du Loroux endlich erschien, zog ihn der Arzt sofort beiseite, und Alienor wurde zu ihrer Empörung mit den anderen aus dem Zimmer geschickt. Man entschied, den Herzog noch nicht zu benachrichtigen, und das erwies sich als richtig, denn schon einen Tag später konnte ein Eilbote die Nachricht nach Paris bringen, daß Aigret nach einem erbarmungswürdig kurzen Todeskampf gestorben war.

    Während sich Guillaume in Eilmärschen auf den Rückweg nach Aquitanien machte, herrschte in Poitiers große Verunsicherung.
    Petronille war verzweifelt, denn sie hatte ihren kleinen Bruder sehr geliebt. Alienor war zu ehrlich, um sich vorzumachen, sie trauere um Aigret. Was sie empfand, war dumpfe Angst, denn wenn sie mit ihrer Vermutung recht hatte und Aigret durch Gift gestorben war, dann konnte es jederzeit wieder geschehen, konnte jeder ermordet werden, auch ihr Vater oder sie selbst. Es gab

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