Die Löwin von Aquitanien
seiner Gefangenschaft sind sehr schnell sehr bekannt geworden.«
Joanna seufzte. »Du hast das Gift also noch in dir«, sagte sie.
»Kannst du es nicht sein lassen? Kannst du nicht aufhören, das Königreich zu wollen, als sei es das einzige, was zählt?«
»Wenn ich tot bin«, gab ihr Bruder zurück. »Aber das war nicht der Grund, warum ich aufgestanden bin. Selbstverständlich weiß ich, daß es keinen Sinn hat, Richard nochmals herauszufordern. Du brauchst keine Angst zu haben, ich werde für den Rest seines Lebens den loyalen Bruder spielen. Es ist nur…«
Er entschied, sich Joanna anzuvertrauen. Es war sehr lange her, seit er einem Menschen erzählt hatte, was er empfand, doch heute war er ein wenig aus dem Gleichgewicht, und er dachte, warum nicht, zum Teufel. Joanna hatte ihn noch nie verraten.
»Es ist immer Richard«, sagte John rauh und wies auf die Gruppe, die seine Familie bildete. Auch sein Halbbruder, Will von Salisbury, hatte sich zu ihnen gesellt. »In gewissem Sinn war er es sogar bei Vater. Ich hatte Vaters Liebe, das weiß ich, und das wird mir auch oft genug vorgehalten, aber Richard hatte seine Achtung. Ich erinnere mich, daß er einmal sagte, Richard hätte das Zeug zu einem Karl dem Großen, wenn man ihm nur Sachen genug gäbe. Will hat Richard nie beneidet, ihm nie seinen Krieg gegen Vater übelgenommen, dir geht es genauso, und diese kleine Närrin Berengaria himmelt ihn an, als sei er ein zweiter Lancelot und sie Königin Guinevre, und…«
»Dann sollte dir eher Berengaria leid tun«, unterbrach Joanna.
Auch sie beobachtete ihre Familie. »In Richards Leben gibt es nur eine Frau, und das ist Mutter. Oh, mich und Aenor und Marie liebt er ebenfalls, aber nicht auf diese überwältigende Weise. Und was die anderen Frauen angeht…«
»Eben«, sagte John. »Bis auf Berengaria wissen wir alle über Richard Bescheid, und trotzdem gelingt es ihm, als christlicher Held durchzugehen. Doch glaubst du, wenn ich in Gefangenschaft geraten wäre, hätte sie den Kampf mit den mächtigsten Fürsten Europas aufgenommen, um mich wieder zu befreien? Niemals. Nur für Richard.
Alles für Richard.«
Joanna sah ihn mitleidig an. Sie erkannte, daß der Haß und die Eifersucht auf Richard zur Triebkraft in Johns Leben geworden waren; sie fraßen an ihm und ließen ihn nicht mehr los. Sie fragte sich, was wohl nach Richards Tod an deren Stelle treten würde - vorausgesetzt, daß John seinen Bruder überlebte.
»Komm«, sagte sie, »gehen wir wieder zu ihnen. Du hast doch gehört, daß Mutter sich für längere Zeit vom Hof zurückziehen will.
Sie hat das Recht auf einen schönen Abschied, findest du nicht?«
John unterdrückte eine Antwort, doch er ließ sich von ihr mitziehen, und gemeinsam betraten sie wieder den Bannkreis aus Wärme und Gelächter, der sich um ihre Familie gebildet hatte.
Richards Burg, Château-Gaillard, in nur zwei Jahren erbaut, ragte auf dem Felsen Andeli über die Seine. Sie war als Herausforderung an Philippe gedacht gewesen und wurde auch als solche aufgefaßt; als Verteidigungsanlage war sie so vollkommen, daß sie Richard nun auch als Festungsbaumeister berühmt machte, denn er hatte sie selbst entworfen und die Arbeiten, wenn möglich, persönlich überwacht.
Am südlichen Ufer der Seine befand sich seine neugegründete Stadt und auf der Insel Andeli die Burg, die durch starke Palisaden und Bollwerke mit beiden Ufern verbunden war. Die Mitglieder des französischen Hofstaats, die ihrem Herrn hierher gefolgt waren, um nach beinahe fünf Jahren Krieg der Vereinbarung eines neuen Waffenstillstands zuzusehen, warfen neidische Blicke auf das Bauwerk.
An dieser Burg fehlten zum ersten Mal die berüchtigten ›toten Winkel‹, diejenigen Mauer- und Turmabschnitte, auf denen die Verteidiger keine Geschütze aufstellen konnten.
Richard hatte seiner Burg einen elliptischen Grundriß gegeben, und sie schien aus dem weißen Kalkfelsen Andelis herauszuwachsen.
Château-Gaillard beherrschte die Straße nach Rouen und machte den Verlust von Gisors vor nunmehr sechs Jahren wieder wett. Außerdem bildete es eine exzellente Basis für die Rückeroberung des Vexin.
Richard hatte noch im Jahr seiner Rückkehr Philippe fast völlig aus der Normandie zurückgedrängt, doch seitdem führten sie einen zähen, durch wenige Waffenstillstände unterbrochenen Krieg gegeneinander, der die Grenzgebiete fast völlig ausgeblutet hatte. In diesem Jahr indessen hatte der junge, energische Papst
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