Die Löwin von Aquitanien
einen Mann, von dem sie bisher nicht viel gehabt hatte, rührend, aber töricht. Die Schwester des Königs wußte sehr wohl, daß er Berengaria nicht liebte, und fragte sich, wie die junge Frau dies nicht bemerken konnte. Aber Joanna hatte schon längst festgestellt, daß Berengarias Vorstellungen von der Liebe noch immer so wirklichkeitsfremd und naiv waren, wie die eines zwölfjährigen Mädchens.
Berengaria war erwiesenermaßen nicht mehr Jungfrau; Joanna hatte selbst vor ihrer Brautkammer gestanden, als das blutige Laken gezeigt wurde. Doch von ihrem Wissen her hätte sie ebensogut eine Nonne sein können.
»Ich habe gehört, Jo«, sagte John zu seiner Schwester, »du hast dich geweigert, Saladins Bruder Malik al-Adil zu heiraten?« Joanna schnitt eine Grimasse. »Das war ein überhaupt nicht ernstgemeinter Vorschlag von Richard, um die Verhandlungen mit Saladin etwas hinauszuzögern, damit das Heer sich ausruhen konnte, und ich wette, Saladin ging aus denselben Gründen darauf ein.«
Sie wandte sich an ihren älteren Bruder und fragte augenzwinkernd: »Was hättet ihr beiden Kriegshelden wohl getan, wenn ich mich nicht geweigert und darauf bestanden hätte, daß dieser al-Adil sich taufen läßt?«
Richard lachte. »Das wäre in der Tat ziemlich schwierig geworden, denn dann hätten wir Euch das gesamte Königreich Jerusalem zu Füßen legen müssen. Saladin wäre von seinen Emiren zerrissen worden, und mich hätte das Kreuzfahrerheer geköpft.«
»Oh, aber es war schrecklich aufregend«, warf Berengaria ein,
»als wir in Akkon hörten, daß Joanna die Frau eines Sultans werden sollte.«
»Die seines Bruders«, berichtigte Joanna und dachte versonnen an die abenteuerliche Zeit des Kreuzzugs, die sie und Berengaria zum größten Teil in Akkon verbracht hatten, während Richard weiter Stadt um Stadt eroberte.
»Stimmt es, daß ihr, du und Saladin, euch mehrmals persönlich begegnet seid und Geschenke ausgetauscht habt?« fragte Alienor ihren Sohn.
Richard nickte. »Er war ein großer Mann«, sagte er langsam, »und ich habe ihn sehr bewundert. Als ich in meiner Gefangenschaft hörte, daß er nur ein halbes Jahr nach meiner Abreise gestorben ist… nun, es war ein merkwürdiges Gefühl. Andererseits gibt es ohne Saladin wieder viele einander befehdende Emire im Heiligen Land, und es steht zu hoffen, daß Maries Sohn mit ihnen fertig wird.«
»Wie geht es Marie?« fragte Joanna. »Henri war ganz ihr Ebenbild, aber ich habe sie so lange nicht gesehen.«
Alienor erwiderte: »Sie und ich haben vereinbart, uns im nächsten Monat in Fontevrault zu treffen.«
»Wollt Ihr ins Kloster gehen? « fragte Joanna tiefernst, und alles brach in Gelächter aus. »Erst wenn mir der Heilige Vater meine Seligsprechung sicherstellt«, antwortete ihre Mutter und fügte hinzu:
»Aber ich habe tatsächlich vor, jetzt mehr Zeit in Fontevrault zu verbringen. Es ist so friedlich dort, und es war immer mein Lieblingskloster.«
Ihre Kinder machten erstaunte und betroffene Gesichter. »Alienor von Aquitanien zieht sich von der Regierung zurück? Was ist in Euch gefahren, Mutter, seid Ihr krank?« fragte John prüfend. Alienor entgegnete belustigt: »Ich habe nicht gesagt, daß ich mich gänzlich zurückziehe - dazu macht mir das Reisen viel zu sehr Spaß. Aber ich möchte mich manchmal ausruhen, besonders nach - nun, nennen wir es die Aufregung des letzten Jahres, und dafür ist Fontevrault genau richtig.«
Joanna dachte daran, daß ihr Vater in Fontevrault begraben lag, und hörte, wie Alienor hinzufügte: »Außerdem ist das Königreich ja jetzt in guten Händen, nicht wahr, Richard?«
Sie verpaßte Richards Antwort, denn sie war erschreckt über den tödlichen Blick, den John auf seinen Bruder warf. Dann wurde seine Miene wieder nichtssagend. Kurz danach stand er auf und schien sich zurückziehen zu wollen, doch Joanna ging ihm nach und hielt ihn fest.
»Was hast du, Johnny?« Sie war seit jenem furchtbaren Tag in Chinon, als er seinen Vater zum letzten Mal gesehen hatte, die erste, die ihn so nannte, und Johns Gesicht brannte, als hätte sie ihn geschlagen. Joanna betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Das sollte ein glücklicher Tag für uns alle sein«, sagte sie, leichten Tadel in der Stimme, »der Tag der Versöhnung. Bis auf Marie und Aenor sind wir alle zusammen, wir leben, wir sind gesund. Ist das nicht Grund genug zum Feiern?«
»Sag das Richard«, erwiderte John, »vielleicht schreibt er ein Lied darüber. Die aus
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