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Die Löwin von Aquitanien

Die Löwin von Aquitanien

Titel: Die Löwin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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küssen. Es geschieht nicht alle Tage, daß eine Diözese so gut wie unabhängig erklärt wird.
    Nun, König Louis hatte im Gegensatz zu den Herzögen von Aquitanien immer auf gutem Fuß mit dem Klerus gestanden. Wenn er einst ins Paradies einging, würde das ein trauriger Tag für alle Bischöfe, Äbte und Priester an seinem Hof sein. Diese Überlegung erinnerte Raoul de Vermandois daran, daß der König bei der Abreise seines Sohnes bei sehr schlechter Gesundheit gewesen war; der Herrscher litt an Bauchschluß. Erst gestern hatte Vermandois es sich nicht verkneifen können, Suger zu fragen, ob er schon über die Möglichkeit nachgedacht habe, daß der König ohne seinen geistlichen Beistand sterben könne.
    Sugers Antwort war ihm in die Glieder gefahren. »Ich habe meinem Prior für alle Fälle Anweisungen gegeben «, hatte der Abt eisig entgegnet, »bis hin zur Grablegung in Saint-Denis.« Diese Worte kamen todernst.
    Doch alle Gedanken an den kränkelnden König oder seinen priesterlichen Ratgeber waren verflogen, als die junge Herzogin die große Halle betrat. Der Graf hörte, wie hinter ihm ein Mann aus dem Gefolge sagte: »Oh mein Gott!«, und er konnte ihm nur stillschweigend recht geben. Sie trug ein Gewand aus einem ihm unbekannten weichen grünen Stoff und einen prächtigen, mit Smaragden besetzten Gürtel, der gewiß ein Vermögen wert war, doch das waren Äußerlichkeiten, die man erst im nachhinein bemerkte. Es war das Mädchen selbst, das ihm den Atem raubte.
    Wie alt war sie - fünfzehn? Ja, sie sah gewiß jung aus, aber doch gleichzeitig wieder nicht, denn ihre vollkommene Gestalt hatte nichts Kindliches mehr, und ihr Gesicht… Er konnte sich nicht sattsehen an der zarten, hellen Haut, die einen solchen Gegensatz zu ihren Haaren abgab, die sie nach der Art unverheirateter Frauen ohne Kopfputz trug. Lose fielen sie auf ihre Schultern, und ihre Farbe fand ihre Entsprechung in den geschwungenen, sinnlichen Lippen. Sie hielt ihre Lider gesenkt, so daß man die Farbe ihrer Augen nicht sehen konnte.
    Doch als sie sich dem Dauphin genähert hatte und ihn direkt ansah, erkannte Vermandois, der neben Louis stand, daß nichts auf weibliche Bescheidenheit schließen ließ. Noch nie hatte er solchen Lebenshunger sprühen sehen; auch Ärger lag in ihren Augen, vermischt mit Neugier. Er warf einen Blick auf Louis. Der Junge schien völlig aus der Fassung zu geraten.
    Er stammelte: »Ich… ich bin sehr erfreut, Euch kennenzulernen, Cousine.« Die Anrede war reine Höflichkeit, denn die Berührung im Stammbaum lag etwa sieben Generationen zurück.
    Sie hätte jetzt niederknien sollen, doch sie neigte nur leicht den Kopf und erwiderte: »Auch ich freue mich, Cousin.« Ihre Stimme war dunkel und schwingend, wiederholte das Versprechen, das in ihrer Gestalt lag. Der Graf de Vermandois verbiß sich ein Grinsen.
    Bei Gott, was man sich von dem Hochmut des Hauses Aquitanien erzählte, stimmte; sie hielt sich tatsächlich für ebenbürtig. Er versprach sich für die Zukunft einige Ablenkung bei Hofe. Dennoch spürte er ein jähes, heftiges Bedauern. All diese erregende Mischung aus Jugend und Unschuld und die Verheißung erblühender Sinnlichkeit - für Louis Capet. Was für eine Verschwendung.
    Louis konnte bei dem ersten gemeinsamen Festmahl noch nicht neben seiner Braut sitzen, doch auch er brachte es nicht fertig, die Augen von ihr zu wenden. Sie war so wunderschön!
    Der Dauphin hatte sein bisheriges Leben fast ausschließlich in dem großen, ruhigen Kloster Saint-Denis verbracht. Er liebte das Kloster, Gebet und Studium, und in seinem Dasein hatte es nur zwei einschneidende Unterbrechungen gegeben. Als er neun Jahre alt war, ließ ihn sein Vater an den Hof holen und teilte ihm mit, sein Bruder Philippe sei gestorben, und er, Louis, wäre nun der neue Dauphin.
    Louis hatte nur Trauer, Bedauern und Furcht bei dieser Nachricht empfunden und war erleichtert gewesen, daß er nicht am Hof bleiben mußte, sondern nach Saint-Denis zurückkehren durfte. Ihm gefiel das Leben bei Hofe nicht, und das Gekicher der Frauen jagte ihm Angst ein. Warnte nicht jeder Prediger vor dem Weibe?
    Die zweite Unterbrechung war vor kaum zwei Monaten die Mitteilung seines Vaters und Sugers, er müsse die Tochter des soeben verstorbenen Herzogs von Aquitanien heiraten. Natürlich hatte er gewußt, daß er eines Tages, da er nun einmal König werden würde, auch eine Gemahlin nehmen müsse, aber er hatte gehofft, daß es noch etwas dauerte.

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