Die Löwin von Aquitanien
ich…
darf ich dich umarmen, Alienor?«
Sie nahmen sich vorsichtig in die Arme und blieben so liegen, bis Alienor bemerkte, daß ihr Gemahl, für den ihre Wärme einen sicheren Schutzwall gegen die Schrecknisse der Nacht und der Zukunft gebaut hatte, eingeschlafen war. Sie mochte Louis und verspürte das starke Bedürfnis, dieses große Kind zu beschützen. Und doch konnte sie sich nicht helfen, ein wenig enttäuscht zu sein. Alienor lag noch lange wach und sah durch die zugezogenen Bettvorhänge, wie die Fackeln, mit denen man die Hochzeitskammer erleuchtet hatte, allmählich erloschen.
In Poitiers, Heimatstadt der Herzöge von Aquitanien, zelebrierte der päpstliche Legat die Doppelkrönung des jungen Paares. Die Reise dorthin war nicht ohne Gefahren gewesen. Jeder war sich darüber klar, daß es für etwaige Rebellen oder Verschwörer eine goldene Gelegenheit war, sich des Königs und seiner neuen Gemahlin zu bemächtigen, und so war Suger zum ersten Mal dankbar für die Anwesenheit des soldatischen Raoul de Vermandois und seiner Untergebenen.
Im Schloß Taillebourg, einer ihrer Reisestationen, wurde die Ehe zwischen den beiden Neuvermählten dann vollzogen. Louis wußte, daß die Jungfräulichkeit seiner Gemahlin allgemein bekannt war, spürte die mitleidigen Blicke, die in ihm hilflose Wut auslösten, und mußte sich obendrein eine Ermahnung Sugers anhören, daß man, würde Alienor auf der Reise entführt, die Gültigkeit ihrer Ehe jederzeit anfechten könne. Desgleichen war schon öfter geschehen. All dies zusammen mit seinen eigenen Gefühlen für Alienor half ihm schließlich, seine natürliche Scheu zu überwinden.
Alienor weinte in dieser Nacht heimlich, aber es waren Tränen der Ernüchterung. Das war alles - dieser kurze, lächerliche Schmerz? Ein solches Gerede um nichts? Sie kam sich betrogen und belogen vor und fühlte sich erniedrigt durch die Zeremonie, mit der am nächsten Tag das blutige Bettlaken dem Gefolge gezeigt wurde.
Als sie in Poitiers zur Königin von Frankreich und Herzogin von Aquitanien gesalbt wurde, hatte sie ihre zornigen Gefühle verdrängt.
Während sie kniete und die Hand spürte, die Öl auf ihrer Stirn verstrich, dachte sie daran, daß ihr Großvater in demselben Alter wie sie gewesen war, als er die Regierung übernommen hatte. Gewiß, sie war noch sehr jung, doch sie war auch voller Selbstvertrauen.
Allerdings sah sie Schwierigkeiten voraus. Dieser Abt Suger behandelte sie und Louis wie zwei Kinder, und es schien, als habe er die Absicht, sich auch in Zukunft als der eigentliche Regent aufzuspielen. Sie spürte die Abneigung in sich wachsen. Seit Jahren hatte ihr niemand mehr gesagt, was sie zu tun und zu lassen habe. Nun, es galt abzuwarten, wie sich die Verhältnisse in Paris gestalten würden.
Als sie Poitiers verließen, wurde sich Alienor zum ersten Mal bewußt, daß sie ihre Heimat so schnell nicht wiedersehen würde. Sie zog nach Norden, in eine Stadt, die erst seit einer Generation Hauptstadt eines kleinen Königreiches und noch nicht einmal ein selbständiges Bistum war, in ein Land, in dem man eine ungewohnte Sprache sprach, an einen Hof, wo man ihr bestenfalls gleichgültig und sehr viel wahrscheinlicher feindlich gegenüberstand.
Paris ließ sich selbstverständlich nicht mit Bordeaux oder Poitiers vergleichen, doch umgeben von einem grünen Ring kleiner Wälder hatte es seinen Reiz. Alienor gefielen die zahlreichen Weinberge und die vielen Boote, die ständig auf der Seine kreuzten und die eigentliche, auf einer Insel liegende Stadt mit den Ufern des Flusses in Verbindung brachten. Louis machte Alienor auf die Gärten aufmerksam, die die Angehörigen des Templerordens in einem ehemaligen Sumpfgebiet angelegt hatten. Von dort aus bezog die Stadt viele ihrer Lebensmittel. Er zeigte ihr auch einen Menhir am Ende der alten Römerstraße und erzählte ihr von dem Riesen Isore, der unter diesem Stein begraben lag. Louis war bester Laune, jetzt, wo er wieder in seiner Heimat war, und von dem brennenden Wunsch beseelt, in Alienors Augen ein möglichst gutes Bild abzugeben. Er hielt sich für ein wahres Schoßkind des Glücks und hätte alles für sie getan.
Der königliche Palast auf der Ile-de-la-Cité hallte vor Getuschel und beziehungsreichen Blicken über die neue Königin wider. Man bewunderte ihre Schönheit und gestand ihr auch Eleganz zu, mokierte sich aber über ihr draufgängerisches, fremdartiges Gefolge aus dem Süden und die neuen Sitten, die
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