Die Löwin von Aquitanien
mit der Nachricht überrascht hatte, daß sie ein Kind erwartete. Inzwischen mußte es geboren sein, und er wußte nicht einmal, ob er nun einen Sohn und Erben hatte! Er warf Alienor einen Blick zu und dachte an das junge Mädchen, das er vor zehn Jahren im Palais Pombrière zum ersten Mal gesehen hatte. »Erinnert Ihr Euch noch…« setzte er an, doch sollte er seinen Satz nie zu Ende führen, denn in diesem Moment brach die Hölle los.
Aus dem Nichts kam ein tödlicher Pfeilregen, und die Hänge, die eben noch leer erschienen waren, waren auf einmal voller Leichtbewaffneter. Die Spitze des Trosses geriet in Panik, blieb jäh stehen, und die folgenden Wagen, die auf dem engen Bergpfad nicht ausweichen konnten, kippten zum Teil um. Die Luft erzitterte unter dem Geschrei der Überfallenen und dem Gebrüll der Angreifer.
Mit einem Fluch riß der Graf de Vermandois sein Pferd herum. Er packte die Königin, hob sie aus dem Sattel und stieß sie in die Deckung eines umgestürzten Wagens. »Bleibt hier und rührt Euch, um Gottes willen, nicht von der Stelle!« rief er, dann versuchte er verzweifelt, eine Kampfordnung aufzustellen. Die ganze Zeit fragte er sich dasselbe wie Alienor, die bewegungslos neben ihren Damen kauerte und dabei Denise, die nicht aufhören wollte zu schreien, schließlich die Hand auf den Mund preßte: Wo blieb die verdammte Vorhut?
Louis starrte entsetzt auf den blutverschmierten Soldaten, der vor ihm kniete. »Und die Vorhut? Was ist mit meinem Onkel de Maurienne und Geoffrey de Rancon?«
»Mein König«, keuchte der Mann, »es sieht so aus, als hätten sie sich so weit vom Hauptheer entfernt, daß wir jede Verbindung zu ihnen verloren haben. Mein Herr, der Graf, glaubt, daß sie versucht haben, den Paß zu überqueren.«
Einer von Louis’ Hauptleuten stieß einen Fluch aus. »Diese verdammten Leute aus dem Süden - den Tag möchte ich mal erleben, daß die sich an Befehle halten!«
Louis hörte ihn nicht. Er packte den Boten an der Kehle. »Und die Königin?«
»Sie lebt, Euer Gnaden.«
Louis ließ ihn fahren. Seine Hauptleute schauten erwartungsvoll auf ihn. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, um die in ihm aufsteigende Panik zu verbergen.
Dieses Unglück verlangte einen Caesar, und er war kein Caesar.
Doch wenn er jetzt nicht sofort handelte, war sein Hauptheer verloren - und mit ihm Alienor. »Schnelligkeit«, sagte er, als müßte er die Worte erst mühsam in seinen Gedanken bilden,» es kommt auf Schnelligkeit an. Wir… ja, das ist es!« Er wies einige seiner Ritter an, sich um ihn zu sammeln. »Wir bilden einen Stoßtrupp und eilen dem Troß augenblicklich zu Hilfe - der Rest der Nachhut folgt, so schnell er kann!«
Wie begnadet dieser Einfall gewesen war, wurde Louis selbst erst klar, als er den Kampfplatz erreichte, denn die umgestürzten Wagen hätten die Ankunft eines großen Heerteils endlos verzögert, seine kleine Schar dagegen konnte sich sofort zu Vermandois durchschlagen. Louis handelte wie in Trance. Es war, als wäre er, aus der Not, zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben ein völlig anderer Mensch - er focht mit einer Erbarmungslosigkeit und Verbissenheit, die sein mangelndes Geschick mehr als wettmachte. Die Soldaten, ebenfalls von dem Verhalten ihres Königs sehr überrascht - er galt zwar nicht als feige, doch kaum als großer Kämpfer -, sammelten sich um ihn, und es gelang ihm, das panikartige Auseinanderlaufen des Heeres aufzuhalten. Die Vorhut war noch immer verschwunden und mit ihr die meisten Berittenen, doch die Nachhut traf allmählich ein. Die Feinde, die wohl mit einem raschen Sieg gerechnet hatten, waren auf diese erbitterte Gegenwehr nicht gefaßt, und am Abend war es Louis gelungen, die Türken auf die Hügel zurückzutreiben.
In seiner verschmierten und verkratzten Rüstung kaum von einem seiner Männer zu unterscheiden, starrte er auf das blutige Schwert in seiner Hand und wurde sich langsam seiner Umgebung wieder bewußt. Alienor kam zu ihm. Auch sie war dem Tode näher als je zuvor in ihrem Leben gewesen, und ihre Knie zitterten, während sie über Leichen und Wagenteile hinwegstieg.
»Louis?« Er schien sie nicht zu hören und nicht zu erkennen. Immer noch blickte er das Schwert an, dann ließ er es fallen, sank auf die Knie und sagte tonlos: »O mein Gott!« Jemand näherte sich ihnen mit einem Wasserbeutel. Alienor nahm ihn und reichte ihn ihrem Gemahl.
Louis’ Blick klärte sich, und er sah sie an. »Alienor… Alienor, du
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