Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Löwin von Aquitanien

Die Löwin von Aquitanien

Titel: Die Löwin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
bitter getroffen wie dieser Anblick. Er hatte Alienor das Leben gerettet, er tat seit zehn Jahren alles, um sie glücklich zu machen, doch hier begrüßte sie einen Mann, der wenig mehr als ein Abenteurer war, als sei es der Erzengel Gabriel persönlich.
    Louis erhob sich, und Raymond de Poitiers, der Alienor in selbstverständlicher Weise den Arm um die Taille gelegt hatte, trat auf ihn zu.
    »Cousin, ich freue mich wirklich, Euch hier zu sehen«, sagte er freundlich. »Und ich hoffe, Ihr verzeiht Eurer Gemahlin den Überschwang. Meine Nichte und ich sind zusammen aufgewachsen, und wir haben uns mehr als ein Dutzend Jahre nicht gesehen.«
    Sein Auftreten war tadellos, das mußte Louis zugeben, und sein Äußeres glich einer jener edlen Statuen, die sie in Konstantinopel gesehen hatten. Louis zwang sich zu Höflichkeit und gab den Gruß zurück, und während sie zum Palast zogen, unterhielten er und Raymond sich gelassen über seine Überfahrt und andere Nichtigkeiten.
    Doch er bemerkte, wie Alienor ihren Onkel ständig ansah, als fürchte sie, er könne sich wieder in Luft auflösen, und wie Raymond ihre Blicke mit derselben Intensität erwiderte. Er sagte sich immer wieder, daß verwandtschaftliche Zuneigung natürlich und solch lange Abwesenheit eine große Freude rechtfertigte, doch der Tag wurde für ihn zu einer schlimmeren Qual, als es Alienors Spöttereien mit Manuel je gewesen waren, besonders, als sie dazu übergingen, nicht nur stumme Botschaften, sondern Erinnerungen laut über seinen Kopf hinweg auszutauschen.
    »Und weißt du noch, was für ein Gesicht Aenor machte, als sie uns aus dem Wald kommen sah? Ich dachte, sie würde mich sofort nach Poitiers zurückschicken!«
    »O nein, das hätte sie nie getan - ich hatte sogar heimlich den Verdacht, daß sie mehr an dir hing als an mir! Erinnerst du dich, auf dem Osterfest damals in…«
    So ging es ständig weiter, auch wenn sie wenigstens mit Rücksicht auf Louis nicht in ihre langue d’oc verfielen. Doch er spürte, wie lästig es ihnen war. Dabei konnte man Raymond noch nicht einmal vorwerfen, er verletze seine Pflichten als Gastgeber; er kümmerte sich um die Unterbringung und Verpflegung von Louis’ Armee, schickte seine Ärzte zu den Verwundeten, stellte Louis den gesamten Klerus vor und zeigte ihm die Reliquien, die sich in den Kirchen der Stadt befanden.
    Unter anderen Umständen hätte Louis wohl mit Raymond Freundschaft geschlossen, doch so war dessen Anwesenheit ihm eine Qual, und er entschied sich schließlich, sich von Raymond während seines Aufenthalts in Antiochia so weit fernzuhalten, wie es möglich war, ohne unhöflich zu werden. So würde er nicht so oft das beschämende Gefühl der Eifersucht ertragen müssen. Auf den Gedanken, Alienor die Gesellschaft ihres Onkels zu verbieten, kam er nie.

    Alienor lehnte an einem der Ölbäume, die überall in Antiochien wuchsen. Sie hielt einen Zweig in der Hand und zerpflückte zerstreut das graugrüne Laub, während Raymond ihr ein Lied in ihrer Heimatsprache sang, »…wohin geht meine Herrin von mir? Zu den Feen, denen ihr Lächeln gehört; zu den Sternen, denen ihre Augen gehören; wohin geht meine Herrin von mir?«
    Die Töne der Laute verklangen, und sie fragte heiter: »Das kenne ich nicht - ist es von dir? Dann hast du gewaltige Fortschritte gemacht, seit Cercamon vor Entsetzen mit seinen Instrumenten nach dir schlug.«
    Raymonds Mundwinkel zuckten. »Du bist eine kleine Hexe, Alienor, und ich habe dir schon gesagt, du solltest nicht so scharfzüngig sein.«
    Mit gespielter Gekränktheit entgegnete sie: »Das ist ausgesprochen undankbar. Du warst der einzige, in dessen Gegenwart ich meine Zunge einigermaßen im Zaum gehalten habe. Warte nur, was jetzt noch kommen wird.«
    Sie warf den Zweig fort und atmete tief den üppigen Duft der Blumen ein, die in diesem Garten wuchsen, Blumen von einer Pracht und Farbenvielfalt, wie sie der Norden nicht kannte. »Es ist wunderschön hier.« Plötzlich veränderte sich ihr Tonfall, wurde ernst. »Ich habe dich so sehr vermißt, Raymond.«
    Er antwortete nicht sofort, und sie sah ihn an, dachte, daß der Mann vor ihr nur noch wenig an den Jüngling erinnerte, den sie zuletzt gesehen hatte. Sie spürte, daß auch er sie ansah, und versuchte Erinnerung mit der Gegenwart in Einklang zu bringen.
    »Alienor… ich habe dich auch vermißt«, sagte er endlich, »aber wir sollten lieber nicht davon sprechen. Erzähl mir von deinem Leben in Frankreich. Bist du

Weitere Kostenlose Bücher