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Die Löwin

Die Löwin

Titel: Die Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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hob es auf und begann sofort, die Stricke um ihre Handgelenke durchzutrennen. Es war mühsam, da sie das eklige Ding nicht zwischen die Zähne nehmen wollte und es auch sonst nirgends befestigen konnte. Aber die Klinge tat noch ihre Dienste, und als sie frei war, schwang sie das Messer durch die Luft, als wolle sie es Trefflich in den Wanst stoßen. Nun fühlte sie sich nicht mehr ganz so wehrlos.
    Ein Blitz, der die Grube in grelles Licht tauchte, und das beinahe gleichzeitige Krachen eines gewaltigen Donnerschlags ließen sie zusammenzucken. Sie war zwar nicht so furchtsam, wie ihre Mutter es bei Gewittern gewesen war, aber dennoch bebte ihr ganzer Körper. »Du musst durchhalten, Caterina!«, befahl sie sich selbst.
    In dem Augenblick wurde ihr klar, dass es ihr nicht viel nützte, die Tapfere zu spielen, denn sie würde auch am nächsten Morgen noch Trefflichs Gefangene sein. Wenn sie sich dann immer noch weigerte, Botho zu heiraten, würde er sich gewiss neue Quälereien für sie ausdenken. Wahrscheinlich würde er seinem Sohn befehlen, sie zu vergewaltigen, um ihren Willen zu beugen, oder seinen Knechten, sie mit Ruten zu schlagen, bis der Schmerz ihren Widerstand brach. Beide Aussichten waren nicht dazu angetan, sie verharren und darauf warten zu lassen, was das Schicksal ihr noch bescherte. Sie trat an die Wand der kreisrunden Grube und untersuchte sie. Die Hoffnung, an ihr hochklettern zu können, gab sie sofort wieder auf, denn sie ragte senkrecht in die Höhe und war so glitschig, dass ihre Hände keinen Halt fanden.
    »Verflucht sollst du sein, Trefflich!«, schrie sie in einen weiteren Donnerschlag hinein.
    Eine Weile blieb sie dicht an der Wand stehen, so dass die Regentropfen, die der auffrischende Wind über die Grube trug, sie nicht erreichen konnten, und überlegte, welche Möglichkeiten ihr noch blieben, der erzwungenen Heirat zu entkommen. Es gab nur eine einzige, die Erfolg versprach: sie musste das Messer gegen sich selbst richten.
    Prüfend strich sie über die Schneide und fand sie trotz allen Rostes noch scharf genug. Die Klinge war zu klein und zu dünn, um sie sich ins Herz zu stoßen, doch es reichte ein Schnitt an der richtigen Stelle des Handgelenks, um das Leben aus sich herausfließen zu lassen. Noch während sie sich die enttäuschte Miene vorstellte, die Trefflich morgen beim Anblick ihres leblosen Körpers ziehen würde, wurde ihr klar, dass sie nicht sterben wollte. Sie war gerade zwanzig geworden und ihr Leben lag noch vor ihr. Sollte sie es wegen eines übergeschnappten Pfeffersacks und dessen Tölpel von Sohn wegwerfen wie einen abgenagten Knochen?
    Erneut wanderte ihr Blick über die Wände der Grube, und für einige Augenblicke war sie dankbar für das Unwetter, das um sie herum tobte, denn das flackernde Licht zeigte ihr, dass es tatsächlich unmöglich war, ohne Leiter oder einen von oben herabgelassenen Strick die mehr als zwei Manneslängen zu überwinden, die zwischen ihren ausgestreckten Armen und dem oberen Rand lagen. Für einige Augenblicke fragte sie sich, ob wohl jemand aus dem übrigen Gesinde der Burg die Vorgänge beobachtet hatte und bereit war, das Unrecht zu vereiteln, das der aufgeblasene Kaufherr ihr antun wollte. Aber nichts deutete darauf hin, dass sich jemand in das Gewitter hinauswagte, um sie aus der Wolfsgrube zu ziehen. Wahrscheinlich lähmte die Furcht vor dem Herrn auf Rechlingen selbst die Herzen und Hände der Gutwilligsten. Da ihre Begleiter betäubt und eingesperrt worden waren, gab es nur eine einzige Person, auf die sie bauen konnte, und das war sie selbst.
    Der Wind hatte sich wieder gelegt, dafür fielen die Regentropfen so groß und schwer wie Taubeneier vom Himmel und verschonten keinen Winkel. Sie fühlten sich an wie Steine, und ihr Kopf und ihre Arme taten ihr nach kurzer Zeit weh, als schlage man mit einem dünnen Stock auf sie ein. Das kam von den Graupeln, die die Regentropfen mehr und mehr ablösten und immer größer wurden. Nicht lange, da fegten faustgroße Hagelkörner wie Wurfgeschosse in ihr Gefängnis, und ihr blieb nichts anderes übrig, als sich an die Grubenwand zu kauern und den Kopf mit ihren Armen zu schützen. Ihre Wut auf Trefflich wich höllischen Schmerzen und der Angst, von dem Hagelschlag zu Tode gesteinigt oder lebendig begraben zu werden. In diesem Augenblick war sie bereit, dem Teufel ihre Seele zu verschreiben, um den tobenden Elementen zu entkommen, und Trefflich und sein Sohn schienen ihr plötzlich das

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