Die Löwin
Es dauerte einen Augenblick, bis er in dem zitternden, schmutzigen Wesen mit den am Kopf klebenden Haaren seine Herrin erkannte.
»Holt Frau Malle!«, herrschte er einen der Knechte an und eilte nach unten, um die Pforte zu öffnen. »Herrin, was ist geschehen? Hat Sternchen Euch abgeworfen? Warum reitet Ihr auch mitten in der Nacht durch so einen Sturm?«
Der Mann kannte Caterina, seit diese ihre ersten Schritte versucht hatte, und nahm sich das Recht eines vertrauten Dienstboten heraus, auch einmal ein offenes Wort zu wagen.
Caterina schüttelte den Kopf und zwang ihre klappernden Zähne zur Ruhe. »Trefflich hat mir eine Falle gestellt! Er will, dass ich seinen Sohn heirate.«
»So ein Hundsfott! Der Gottseibeiuns soll ihn holen! Hat man so etwas schon gehört?« Der Wächter schäumte auf und vergaß in seinem Zorn beinahe, dass seine Herrin Hilfe benötigte.
»Gib mir eine Decke! Mir ist kalt«, stöhnte Caterina zitternd.
Der Mann zuckte zusammen, half ihr über die Schwelle und sah aufatmend, dass einer der Knechte eine Pferdedecke herbeibrachte und seine Herrin darin einhüllte.
»So ein Hundsfott von einer Krämerseele!«, schimpfte er noch, als Malle die Treppe des Palas herunterstürmte und auf ihre Herrin zulief.
Die Beschließerin, die eigentlich Maria hieß, aber von allen nur bei dem Namen genannt wurde, den die kleine Caterina ihr vor vielen Jahren gegeben hatte, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie Caterinas Zustand wahrnahm. »Ach Gottchen, was ist denn mit dir geschehen? Komm, Kind! Du brauchst sofort ein heißes Bad!«
Malle sprach mit der Autorität der ehemaligen Kindsmagd, die das Mädchen von dem Augenblick an betreut hatte, in dem es den Schoß der Mutter verlassen hatte. Ehe Caterina ein Wort sagen konnte, nahm die resolute Beschließerin sie an der Hand und führte sie in den Hauptbau der Burg, an dem seit mehr als einem Jahrhundert nichts mehr verändert und beinahe ebenso lange nichts mehr erneuert worden war. Seit dem Begründer des Geschlechts waren die Eldenbergs Krieger in fremden Diensten gewesen und hatten dabei weder Reichtümer noch nennenswerte Ländereien erringen können. Daher war ihr Besitz im Lauf der Zeit trotz aller Bemühungen der Ehefrauen, die von ihren Männern hier zurückgelassen worden waren, mehr und mehr verkommen.
Caterina wunderte sich, dass ihr diese Gedanken ausgerechnet jetzt durch den Kopf schossen. Der Unterschied zwischen dem bröckelnden Gemäuer, in dem sie hausen musste, und der von Trefflich erst vor kurzem von Grund auf erneuerten Burg Rechlingen war so groß, dass ihr der Verfall um sie herum trotz ihrer Schmerzen und der Schwäche, die sie über die eigenen Füße stolpern ließ, so intensiv auffiel wie noch nie zuvor. Es schien wirklich so zu sein, wie der Kaufherr es ihr erklärt hatte: Die Zeit der Ritter und Edelleute war im Sinken begriffen und Männer ohne Rang und Namen begannen die Welt mit ihrem Geld zu beherrschen.
»Mich beherrscht er nicht!« Sie stieß diese Worte so wütend aus, dass sie Malle erschreckte. Die Beschließerin bezwang jedoch ihre Neugier, bis sie Caterinas Gemächer erreicht hatten. Die ihr untergebenen Mägde schleppten bereits das heiße Wasser, das Malle angesichts des Unwetters für ihre Herrin bereitgehalten hatte, vor den Kamin in Caterinas Kemenate und füllten einen großen Holzbottich. Eine Jungmagd trug die Badeseife herbei, die Malle eigenhändig aus Seifenkraut, Kastanienmehl, Apfelblüten, Weizenkleie und einigen anderen Zutaten herstellte, und blickte dabei so stolz, als hüte sie kostbares Parfüm.
Die Beschließerin half Caterina, sich auf einen Hocker zu setzen, der zwischen zwei Haltern mit brennenden Kienspänen stand, und betrachtete sie in deren Licht genauer. Ihre Herrin sah nicht nur so aus, als hätte sie sich im Schlamm gewälzt, sondern stank auch nach Moder und Verfaultem. Energisch winkte sie zwei der Mägde herbei. »Helft mir, die Jungfer auszuziehen.«
Die beiden fassten Caterina mit spitzen Fingern an und schnitten ihr das zerrissene Kleid, die Unterröcke und auch das Hemd vom Leib, denn der Stoff klebte so fest, als wäre er angeleimt. Als die Fetzen am Boden lagen, war zu erkennen, dass die Haut ihrer Herrin fingerdick mit Schmutz bedeckt war.
Malle bedachte die Mägde, die sich die Nase zuhielten, mit einem bösen Blick und musterte Caterina kopfschüttelnd. »So kann ich Euch nicht in die Wanne setzen, denn dann kommt Ihr ebenso schmutzig wieder
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