Die Löwin
kleinere Übel zu sein. Sie wollte schon um Hilfe rufen, als ihr die Knechte einfielen, die sie vorhin misshandelt hatten und sicher noch in der Nähe waren. Gewiss würden die Kerle sich einen Spaß daraus machen, sie zu fesseln, überall zu begrapschen und wie ein erlegtes Wild zu Trefflichs Füßen zu legen. Bei diesem Gedanken biss sie die Zähne zusammen und machte ihrem Schmerz nur in einem leisen Wimmern Luft.
So rasch, wie der Hagel gekommen war, hörte er wieder auf und überließ das Feld einem Platzregen, der wie aus Kübeln gegossen vom Himmel stürzte. Innerhalb kürzester Zeit stand sie bis über die Knöchel im Wasser, auf dem eine dicke Schicht Hagelkörner schwamm. Die Kälte ließ ihr schier das Blut in den Adern erstarren, und es floss immer mehr Wasser die Wände herab.
»Ich muss hier raus, sonst bin ich noch vor Mitternacht wahnsinnig oder tot!«, stöhnte Caterina auf und fuhr mit zu Krallen gebogenen Fingern über die Wand, als hoffe sie, sich durch sie hindurchgraben zu können. Dabei stellte sie fest, dass diese unter einer dünnen Schmutzschicht äußerst hart war, kratzte noch mehr Dreck weg und stieß auf behauene Steine. Offensichtlich war die Wolfsgrube ähnlich wie ein Brunnen mit großen Quadersteinen gemauert worden. Das hätte sie sich eigentlich denken können, denn ein simples Erdloch wäre längst eingestürzt. Für einen Augenblick wollte sie sich mutlos in das eisige Wasser gleiten lassen, in der Hoffnung, schnell das Bewusstsein zu verlieren und darin zu ertrinken. Hoch genug stand es ja schon und lange würde sie die Kälte auch im Stehen nicht mehr ertragen. Dann kam ihr ein Gedanke, der zunächst absurd schien, aber schnell von ihr Besitz ergriff. Es mochte sein, dass sie sich bei seiner Ausführung das Genick brach – aber dann kam das Ende wenigstens schnell und schmerzlos.
Die Wand war zwar steil und schlüpfrig, aber wo es Quadersteine gab, gab es auch Ritzen und Spalten. Sie befühlte den Abfall unter ihren Füßen, tastete nach dem Stein, an den ihr Fuß gerade gestoßen war, und griff schaudernd durch die kalte Schicht, die sie umschwappte, um ihn aufzuheben. Es war ein Stück Flusskiesel, groß genug, jeden niederzuschlagen, der ihr zu nahe kam. Wenn die Idee, die durch ihren Kopf wirbelte, sich verwirklichen ließ, würde der kleine Felsbrocken ihr jedoch noch viel wertvollere Dienste leisten. Sie fuhr mit den Fingerspitzen über die Wand, tastete die Fugen zwischen den Quadern ab und atmete auf. Sie waren knapp fingerbreit und damit gerade richtig für ihre Zwecke. Noch einmal holte sie tief Luft und hielt den Atem an, während sie ein zweites Mal durch Eiskörner griff und den Ast hochhob, über den sie beim Umhergehen schon ein paarmal gestolpert war. Er war beinahe noch frisch, ließ sich aber mit dem Messer in unterarmlange Stücke teilen.
Als sie an die eigentliche Arbeit ging, lauschte sie kurz dem Gewitter, das kaum an Kraft verloren hatte, und atmete auf. Wenn sie nur ein wenig Glück hatte, würde es noch die halbe Nacht lang toben und ihr die Flucht ermöglichen. Ihr Stein eignete sich ausgezeichnet als Schlägel, und so trieb sie die Aststücke eines nach dem anderen in die Fugen und hatte nach kurzer Zeit eine primitive Leiter geschaffen, auf der sie höher klettern konnte, als sie selbst groß war. Dann aber gingen ihr die Aststücke aus, und es wurde zunehmend schwieriger, auf den dünnen Stangen zu balancieren und gleichzeitig ein weiteres Holzstück einzuschlagen. Festhalten konnte sie sich nur an den Teilen, die sie schon in die Spalten getrieben hatte, und sie wünschte sich, ein zweites Paar Arme zu besitzen. Trotz der Kälte und ihren nassen Kleidern lief ihr bald der Schweiß über Gesicht und Rücken, und als sie kein brauchbares Holz mehr fand, war sie nahe daran aufzugeben. Mit zusammengebissenen Zähnen entschloss sie sich, in dem schon mehr als kniehohen Wasser nach Knochen zu suchen, die noch fest genug waren, um sie zu tragen. Schier unzählige Male kletterte sie ihre behelfsmäßige Leiter hoch und wieder hinunter, immer in Gefahr, an den glitschigen Sprossen abzurutschen und in die Tiefe zu stürzen. Dabei wurde ihr bewusst, dass die Gefahr, sich bei einem Sturz einen Arm oder gar ein Bein zu brechen, größer war, als sofort zu Tode zu kommen, und ihr graute davor, auf diese Weise ein leichtes Opfer für Trefflich zu werden.
Caterina schob die Vorstellung, hilflos unten in Wasser und Schlamm zu liegen, resolut beiseite, barg
Weitere Kostenlose Bücher