Die Loge
herein, als kämen sie mit großer Verspätung zu einer zu ihren Ehren veranstalteten Dinnerparty. Während er sie den Flur entlangführte, schwenkte er das Fax mit Schwester Reginas Bericht und löcherte Gabriel mit Fragen. Wo hast du das entdeckt? Wieso warst du noch mal in München? Weißt du, was für eine Panik du ausgelöst hast? Der halbe Dienst fahndet nach dir! Mein Gott, Gabriel, du hast uns vielleicht erschreckt!
Schamron sagte nichts. Schamron hatte genügend Katastrophen überlebt, um zu wissen, daß er zu gegebener Zeit alles erfahren würde, was er wissen mußte. Während Lavon auf Gabriel einredete, ging der Alte vor dem Fenster zum Hof auf und ab. In dem schußsicheren Glas war sein Spiegelbild zu sehen. Gabriel erschien dieses Bild wie eine andere Version Schamrons. Jünger und trittsicherer. Schamron der Unbesiegbare.
Gabriel ließ sich schwer aufs Sofa fallen. Chiara saß neben ihm, als er den Umschlag hervorholte, den Frau Ratzinger ihm in München gegeben hatte, und ihn auf den Couchtisch legte, auf dem sich Aktenordner stapelten. Lavon setzte seine auf die Stirn hochgeschobene Lesebrille zurück auf die Nase und zog vorsichtig den Inhalt aus dem Umschlag: eine Fotokopie eines zweiseitigen, anderthalbzeilig mit Maschine geschriebenen Dokuments. Er senkte den Kopf und begann zu lesen. Im nächsten Augenblick wurde er leichenblaß, und die Blätter zitterten in seinen Händen. Er sah zu Gabriel hinüber und flüsterte: »Unglaublich!«
Lavon hielt die Fotokopie Schamron hin. »Ich glaube, das hier sollten Sie sich ansehen, Boss.«
Schamron blieb gerade lange genug stehen, um einen Blick auf den Briefkopf werfen zu können, dann setzte er sich wieder in Bewegung. »Lesen Sie's mir vor, Eli«, verlangte er. »Bitte auf deutsch . Ich will es auf deutsch hören.«
REICHSMINISTERIUM DES AUSWÄRTIGEN
An: SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, RSHA IV B 4
Von: Unterstaatssekretär Martin Luther, Deutschland-Abteilung, betreffs der Politik des Heiligen Stuhls in bezug auf die Judenfrage.
Berlin, 30. März 1942
64-34 25/1
Meine Besprechung mit Seiner Exzellenz Bischof Sebastiano Lorenzi im Herz-Jesu-Kloster in Oberitalien war ein voller Erfolg. Wie Sie wissen, ist Bischof Lorenzi im vatikanischen Staatssekretariat der führende Fachmann für die Beziehungen zwischen dem Reich und dem Heiligen Stuhl. Darüber hinaus ist er Mitglied eines als Crux Vera bekannten ultrakonservativen katholischen Geheimordens, der dem Nationalsozialismus von Anfang an sehr positiv gegenübergestanden hat. Bischof Lorenzi gehört zu den engsten Vertrauten des Heiligen Vaters und spricht täglich mit ihm. Die beiden waren gemeinsam auf der Gregorianischen Universität, und Bischof Lorenzi war entscheidend am Zustandekommen des 1933 zwischen dem Reich und dem Heiligen Stuhl geschlossenen Konkordats beteiligt.
Seit längerer Zeit arbeite ich eng mit Bischof Lorenzi zusammen. Meinem Eindruck nach ist er mit unserer Judenpolitik vorbehaltlos einverstanden, obwohl er dies aus begreiflichen Gründen nicht offen sagen darf. Er verbrämt seine Position in der Judenfrage als theologischen Standpunkt, läßt aber in freimütigen Augenblicken die Überzeugung erkennen, daß die Juden eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Gefahr darstellen und darüber hinaus Ketzer und Todfeinde der römisch-katholischen Kirche sind.
Bei unserer Besprechung, die in dem angenehmen Rahmen eines am Gardasee gelegenen Klosters stattfand, haben wir nicht nur über viele Aspekte unserer Judenpolitik, sondern auch darüber gesprochen, weshalb diese ungehindert fortgeführt werden muß. Den nachhaltigsten Eindruck auf Bischof Lorenzi scheint mein Hinweis gemacht zu haben, eine nicht rechtzeitige und gründliche Ausrottung der Juden werde zur Entstehung eines Judenstaats im Heiligen Land führen. Zur Unterstützung meiner These habe ich ausführlich aus Ihrer 1938 zu diesem Thema vorgelegten Denkschrift zitiert, in der Sie argumentiert haben, ein jüdischer Staat in Palästina werde die Macht des Judentums juristisch und völkerrechtlich mehren, weil selbst ein Kleinstaat dem Juden die Möglichkeit biete, Botschafter und Delegierte in alle Welt zu entsenden, um seinem Vormachtstreben Genüge zu tun. In dieser Beziehung wäre der Jude somit dem politischen Katholizismus gleichberechtigt, was Bischof Lorenzi um jeden Preis verhindern will. Weder er noch der Heilige Vater möchte erleben, daß Juden die geheiligten Stätten des
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