Die Loge
Blick von den Bäumen ab und sah wieder Brindisi an. Der Kardinal studierte ihn aufmerksam: das hagere Gesicht, die runden Brillengläser – als würde ihn Pius XII. persönlich anblicken.
Brindisi wandte sich ab. »Will mich denn niemand von diesem lästigen Priester befreien? – Wissen Sie, wer das gesagt hat, Carlo?«
»König Heinrich II., wenn ich nicht irre. Und der lästige Priester, von dem er gesprochen hat, war Thomas Becket. Nicht lange nach diesem Ausruf stürmten vier Ritter in die Kathedrale von Canterbury und metzelten Becket mit ihren Schwertern nieder.«
»Bravo!« rief der Kardinal. »Papst Zufällig und der heilige Thomas haben viel gemeinsam. Thomas Becket war ein eitler, selbstgefälliger Mann, der viel zu seinem gewaltsamen Tod selbst beigetragen hat. Das läßt sich sicher auch vom Heiligen Vater behaupten. Dieser hat kein Recht, die Kurie zu umgehen und eine Initiative im Alleingang auf den Weg zu bringen. Und um seiner Sünden, seiner Eitelkeit willen muß er das Schicksal des heiligen Thomas teilen. Entsenden Sie Ihre Ritter, Carlo. Machen Sie ihm den Garaus.«
»Stirbt der Heilige Vater eines gewaltsamen Todes, wird er zum Märtyrer – genau wie der heilige Thomas.«
»Um so besser. Wird sein gewaltsamer Tod richtig choreographiert, kann diese ganze unerfreuliche Affäre noch ein Ende nehmen, das unseren Zwecken nützt.«
»Wie das, Euer Eminenz?«
»Können Sie sich die Wogen der Empörung vorstellen, die über die Juden hereinbrechen werden, wenn der Heilige Vater in einer Synagoge ermordet wird? Für einen Attentäter mit den Fähigkeiten Ihres Freundes müßte das zu schaffen sein. Sobald der Papst beseitigt ist, starten wir eine Kampagne gegen den Papstattentäter aus Israel, der sich in unserer Mitte niedergelassen und unsere kostbarsten Kunstwerke restauriert hat, während er in Wirklichkeit auf eine Chance gelauert hat, den Heiligen Vater zu ermorden. Eine bemerkenswerte Story, Carlo, der die Medien der ganzen Welt sicher nicht widerstehen werden.«
»Ob sie sie auch glauben werden, Euer Eminenz?«
»Zweifelsohne – wenn Sie Ihren Auftrag korrekt ausführen.«
Danach senkte sich Schweigen auf sie herab, so daß das Knirschen ihrer Schritte auf dem Kies des Parkweges das einzige Geräusch um sie herum war. Casagrande fühlte nicht mehr, wie seine Füße den Boden berührten; er glaubte fast zu schweben und die Szene aus der Vogelschau zu beobachten: die alte Abtei, das Gartenlabyrinth, drei Männer – die Heilige Dreifaltigkeit der Crux Vera, die in aller Ruhe überlegte, ob sie einen Papst ermorden sollte.
Casagrande umklammerte den Griff seines Regenschirms und versuchte zu erkennen, ob dieser real oder nur ein Traumobjekt war. Er wünschte sich, der Schirm könnte ihn forttragen, in eine andere Zeit versetzen – in jene Zeit, bevor ihn sein Glaube und seine Rachsucht dazu gebracht hatten, ebenso grausam und niederträchtig wie seine Feinde zu handeln. Er sah Angelina in der Villa Borghese auf einer Decke im Schatten einer Steinpinie sitzen. Er beugte sich über sie, um sie zu küssen, und erwartete, daß ihre Lippen nach Erdbeeren schmeckten, aber sie schmeckten nach Blut. Er glaubte, eine Stimme zu hören. In seinen Gedanken war das Angelinas Stimme, die davon sprach, daß sie ihren nächsten Sommerurlaub gern in den Dolomiten verbringen würde.
In Wirklichkeit war es jedoch Kardinal Brindisi, der eindringlich erklärte, weshalb die Ermordung des Papstes den Interessen der Crux Vera und der Kirche dienen würde. Wie leicht der Kardinal von Mord spricht, dachte Casagrande. Und dann stand plötzlich alles ganz klar vor seinem Auge. Die Kirche in Aufruhr. Zeit für eine bewährte Führerschaft. Nach dem Tod des Heiligen Vaters würde Brindisi diesmal ergreifen, was das vorige Konklave ihm verweigert hatte.
Casagrande sammelte seine Truppen und rückte vorsichtig zum Gegenangriff vor: »Wenn ich die Angelegenheit einmal vom operativen Standpunkt aus beleuchten darf, Euer Eminenz, ist die Ermordung eines Papstes nichts, was sich improvisieren ließe. Ein solches Unternehmen erfordert monate-, ja vielleicht sogar jahrelange Vorbereitungen.« Er machte eine Pause, weil er damit rechnete, von Brindisi unterbrochen zu werden, aber der Kardinal ging einfach nur weiter – mit dem Schritt eines Mannes, der noch eine lange Strecke vor sich hat. Also fuhr Casagrande fort: »Sobald der Heilige Vater das Gebiet des Vatikanstaats verläßt, steht er unter dem Schutz der
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