Die Loge
mich noch immer nicht wieder. Wenn ich ehrlich sein soll, erkenne ich sie manchmal auch nicht wieder.« Gabriel machte eine Pause, dann sagte er: »Aber du bist nicht hier, um mit mir über mein Privatleben zu sprechen.«
»Ganz recht«, bestätigte Schamron, »aber dein Privatleben ist dennoch relevant. Wäre deine Beziehung zu Anna Rolfe noch intakt, könnte ich dich nicht auffordern, wieder für mich zu arbeiten – zumindest nicht mit gutem Gewissen.«
»Wann hast du dich je von deinem Gewissen behindern lassen, wenn du etwas wolltest?«
»Ah, das ist wieder der alte Gabriel, den ich kenne und liebe!« Schamron lächelte humorlos. »Wieviel weißt du über den Mord an Benjamin?«
»Nur das, was ich in der Herald Tribune gelesen habe. Die Münchner Polizei sagt, er sei von Neonazis ermordet worden.«
Der Alte schnaubte. Er war offenbar anderer Meinung als die Münchner Polizei, so vorläufig deren Erkenntnisse auch sein mochten. »Möglich wäre das wohl. Benjamins Arbeiten über den Holocaust haben ihn bei einem großen Teil der deutschen Gesellschaft sehr unbeliebt gemacht, und als Israeli war er ohnehin ein potentielles Ziel. Aber ich bin keineswegs davon überzeugt, daß ein Skinhead es geschafft haben soll, ihn zu ermorden. Mir ist immer unbehaglich zumute, wenn ich von Juden höre, die auf deutschem Boden eines gewaltsamen Todes gestorben sind. Ich will mehr wissen, als die Münchner Polizei uns offiziell mitteilt.«
»Warum schickst du keinen Katsa nach München und läßt ihn ermitteln?«
»Weil die Leute mißtrauisch würden, wenn einer unserer Ermittler anfinge, sie auszufragen. Außerdem weißt du, daß ich es immer vorziehe, den Hintereingang zu benützen.«
»Woran denkst du also?«
»In zwei Tagen bekommt der für die Ermittlungen zuständige Münchner Kriminalbeamte Besuch von Benjamins Halbbruder Ehud Landau. Sobald er Landau über den Stand der Ermittlungen informiert hat, gestattet er ihm, ein Verzeichnis von Benjamins Besitz aufzunehmen und den Rücktransport nach Israel zu veranlassen.«
»Meines Wissens hatte Benjamin keinen Halbbruder.«
»Jetzt hat er einen.« Schamron legte einen israelischen Reisepaß auf den Tisch und schob ihn mit der Handfläche zu Gabriel hinüber. Als Gabriel den Paß aufschlug, sah er darin sein eigenes Photo. Dann las er den Namen: EHUD LANDAU.
»Du hast die besten Augen, die ich kenne«, sagte Schamron. »Sieh dich in seiner Wohnung um. Achte darauf, ob dir irgendwas verdächtig erscheint. Und nimm möglichst alles mit, was eine Verbindung zwischen ihm und dem Dienst beweisen könnte.«
Gabriel klappte den Paß zu, ließ ihn aber auf dem Tisch liegen.
»Ich bin mitten in einer schwierigen Restaurierung. Ich kann nicht einfach nach München abhauen.«
»Das dauert nur einen Tag – höchstens zwei.«
»Das hast du letztes Mal auch gesagt.«
Schamron, der sein Temperament stets nur mühsam beherrschen konnte, kochte über. Er schlug mit der Faust auf die Tischplatte und schrie Gabriel auf hebräisch an: »Willst du dein dämliches Bild fertigstellen oder willst du mir helfen, den Mörder deines Freundes aufzuspüren?«
»Für dich ist alles immer ganz einfach, was?«
»Ach, wenn's doch so wäre! Also, hilfst du mir – oder muß ich diesen sensiblen Auftrag von einem von Levs Hornochsen ausführen lassen?«
Gabriel tat so, als überlege er noch, aber in Wirklichkeit stand sein Entschluß längst fest. Mit einer raschen Bewegung griff er nach dem Paß und ließ ihn in seiner Jackentasche verschwinden. Gabriel hatte die Hände eines Zauberers und verstand sich wie ein Magier auf Sinnestäuschungen. Der Reisepaß lag da – der Reisepaß war verschwunden. Nun zog Schamron einen braunen Umschlag aus festem Papier aus seiner Manteltasche. Darin fand Gabriel ein Flugticket und eine schwarze Geldbörse, ein teures Schweizer Fabrikat. Er klappte sie auf: israelischer Führerschein, Kreditkarten, Mitgliedsausweis eines teuren Fitneßclubs in Tel Aviv, Kundenkarte eines Videoverleihs und ein größerer Geldbetrag in Euro und Schekel.
»Was bin ich von Beruf?«
»Galeriebesitzer. Deine Geschäftskarten stecken im Reißverschlußfach.«
Gabriel fand die Karten und zog eine heraus:
LANDAU ART GALLERY
SHEINKIN STREET, TEL AVIV
»Gibt's die wirklich?«
»Jetzt schon.«
Der letzte Gegenstand im Umschlag war eine goldene Uhr mit schwarzem Lederband. Gabriel drehte sie um und las die auf der Rückseite eingravierte Widmung: FÜR EHUD IN LIEBE VON
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