Die Loge
HANNAH.
»Nett«, sagte Gabriel anerkennend.
»Kleinigkeiten zählen, das weiß ich aus Erfahrung.«
Armbanduhr, Flugticket und Geldbörse gesellten sich zu dem Reisepaß in Gabriels Tasche. Als die beiden Männer wieder ins Freie traten, kam die langmähnige junge Frau in dem bronzefarbenen Mantel rasch auf Schamron zu. Gabriel erkannte, daß sie die Leibwächterin des Alten war.
»Wohin bist du unterwegs?«
»Wieder nach Tiberias«, antwortete Schamron. »Findest du was Interessantes, schickst du's auf dem üblichen Weg zum King Saul Boulevard.«
»An wen adressiert?«
»An mich. Aber das heißt natürlich nicht, daß der kleine Lev es sich nicht ansieht, deshalb bitte ich um entsprechende Diskretion.«
In der Ferne schlug eine Kirchturmuhr. Schamron blieb mitten auf dem Campo in der Nähe des Brunnens stehen und sah sich ein letztes Mal um. »Unser erstes Ghetto. Mein Gott, wie ich diesen Ort hasse!«
»Nur schade, daß du im sechzehnten Jahrhundert nicht in Venedig warst«, sagte Gabriel. »Dann hätte der Rat der Zehn nie gewagt, die Juden hier einzusperren.«
»Aber ich war hier«, behauptete Schamron nachdrücklich. »Ich war immer hier. Und ich erinnere mich an alles.«
4
M ÜNCHEN
Zwei Tage später wartete Kommissar Axel Weiss von der Münchner Kriminalpolizei in Zivil und einem beigen Trenchcoat vor dem Haus Adalbertstraße 68. Er schüttelte Gabriel vorsichtig die Hand, als versuche er, ihre Dichte abzuschätzen. Mit seiner dunklen Gesichtsfarbe und den kurzgeschnittenen schwarzen Haaren erinnerte Weiss, ein großer Mann mit schmalem Gesicht und langer Nase, an einen Dobermann. Er ließ Gabriels Hand los und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Landau, auch wenn die Umstände so bedauerlich sind. Ich schlage vor, daß wir uns irgendwo zusammensetzen, um ein bißchen zu reden, bevor wir in die Wohnung hinaufgehen.«
Sie gingen den regennassen Gehsteig entlang weiter. Es war später Nachmittag, und die Lichter von Schwabing flammten allmählich auf. Gabriel konnte deutsche Städte bei Nacht nicht leiden. Der Kriminalbeamte blieb vor einem Café stehen und sah durch die innen beschlagenen Scheiben hinein: Holzfußboden, runde Tische, Studenten und Intellektuelle, die über Bücher gebeugt saßen. »Gut genug für uns, denke ich«, sagte er. Dann öffnete er die Tür und führte Gabriel zu einem hinteren, ruhigen Tisch.
»Von Ihren Leuten im Konsulat habe ich erfahren, daß Sie eine Kunstgalerie besitzen.«
»Ja, das stimmt.«
»In Tel Aviv?«
»Sie kennen Tel Aviv?«
Der Kriminalbeamte schüttelte den Kopf. »Sie haben's dort bestimmt nicht leicht … mit den Anschlägen und allem.«
»Wir kommen irgendwie zurecht. Das haben wir schon immer getan.«
Eine Bedienung kam an ihren Tisch. Kommissar Weiss bestellte zwei Kaffee.
»Ein Stück Kuchen dazu, Herr Landau?«
Gabriel schüttelte den Kopf. Als die Bedienung gegangen war, fragte Weiss: »Haben Sie eine Karte?«
Es gelang ihm, die Frage scheinbar beiläufig zu stellen, aber Gabriel spürte, daß seine Legende überprüft wurde. Durch seinen Beruf war er außerstande, sich damit zu begnügen, die Dinge so zu sehen, wie sie auf den ersten Blick wirkten. Betrachtete er ein Gemälde, sah er nicht nur die Oberfläche, sondern auch die Untermalungen und Grundierungsschichten. Ähnlich ging es ihm mit den Menschen, die ihm bei seinen Aufträgen begegneten, und den Situationen, in die er dabei kam. Er hatte das deutliche Gefühl, daß Axel Weiss mehr als nur ein gewöhnlicher Münchner Kriminalkommissar war. Gabriel spürte den forschenden Blick des Mannes auf sich ruhen, als er eine der Geschäftskarten, die Schamron ihm in Venedig gegeben hatte, aus seiner Geldbörse zog. Der Kriminalbeamte hielt sie prüfend ans Licht, als suche er Fälschungsspuren.
»Darf ich die behalten?«
»Natürlich.« Gabriel behielt die Geldbörse weiter in der Hand. »Brauchen Sie sonst noch irgendeinen Ausweis?«
Der Kommissar schien diese Frage fast beleidigend zu finden und winkte mit großer Geste ab. »Nein, nein! Selbstverständlich nicht. Ich interessiere mich nur für Kunst, das ist alles.«
Gabriel widerstand der Versuchung, sich davon zu überzeugen, wie wenig sein Gegenüber von Kunst verstand.
»Sie haben mit Ihren Leuten gesprochen?«
Gabriel nickte ernst. Am frühen Nachmittag hatte er das israelische Konsulat aufgesucht, um sich über den Stand der Ermittlungen informieren zu lassen. Ein
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