Die Loge
steckte noch immer im Hosenbund seiner Jeans. Er verließ die Toilette und hielt nach Norden auf die Piazza Navona zu.
Er hatte die Notfallnummer zum zweiten Mal gewählt. Dieselbe junge Frau hatte sich gemeldet und ihn aufgefordert, zur Kirche Santa Maria della Pace zu gehen. In der Kirche bei den Beichtstühlen würde er einen Mann treffen, der einen beigen Trenchcoat trug und ein gefaltetes Exemplar des Osservatore Romano unter den Arm geklemmt hatte. Der Agent würde ihm sagen, wohin er sich als nächstes begeben sollte.
Gabriel war jetzt vor allem dafür verantwortlich, daß er seine Retter nicht gefährdete. Er mußte sicherstellen, daß sie nicht durch seine Schuld in eine Falle gerieten. Während er das Altstadtlabyrinth aus engen Straßen und Gassen durcheilte, mischte er sich unter Touristen und Einheimische und mied die großen Durchgangsstraßen. Auch wenn in der Ferne noch immer Sirenengeheul zu hören war, war er zuversichtlich, daß ihn niemand verfolgte.
Auf der Piazza Navona gingen die Carabinieri Doppelstreife. Gabriel zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und blieb zunächst bei einer Gruppe stehen, die einem Gitarristen zuhörte, der an einen Brunnen gelehnt klassische Stücke spielte. Als Gabriel wieder aufsah, war die Nordseite der Piazza frei. Er machte kehrt, überquerte den Platz und folgte einer Gasse bis zum Kirchenportal. Auf den Stufen vor dem Eingang saß ein Bettler. Gabriel huschte an ihm vorbei und betrat die Kirche.
Weihrauchduft schlug ihm entgegen. Er dachte an Venedig. An die Stille in der Kirche San Zaccaria. Vor nur zwei Wochen hatte er in Frieden gelebt und eines der bedeutendsten Gemälde ganz Italiens restauriert. Jetzt machte jeder Polizeibeamte Roms Jagd auf ihn. Er fragte sich, ob er jemals in sein früheres Leben würde zurückkehren können.
Am Weihwasserbecken zögerte Gabriel, überlegte sich die Sache dann jedoch anders und ging durch das Kirchenschiff weiter nach vorn. An einem Seitenaltar kniete eine alte Frau vor unzähligen aufgesteckten Votivkerzen. Gegenüber einem unbesetzten Beichtstuhl saß der Mann in dem beigen Trenchcoat. Auf der Bank neben ihm lag ein halb zusammengefaltetes Exemplar des Osservatore Romano. Gabriel setzte sich zu ihm.
»Sie bluten«, sagte der Mann im Trenchcoat. Gabriel sah an sich herab und stellte fest, daß sein Sweatshirt tatsächlich blutdurchtränkt war. »Brauchen Sie einen Arzt?«
»Nicht nötig. Los, verschwinden wir!«
»Ich komme nicht mit. Ich bin nur der Kurier.«
»Wohin soll ich?«
»Draußen vor der Kirche steht ein Motorrad, eine silberne BMW. Der Fahrer trägt einen Helm in Rotmetallic.«
Gabriel verließ die Kirche. Er sah das Motorrad sofort. Als Gabriel herankam, drückte der Fahrer den Starterknopf und ließ den Motor einige Male kurz aufheulen. Gabriel schwang sein Bein über die Sitzbank und schlang beide Arme um die Taille des Fahrers. Das Motorrad ordnete sich in den Verkehr ein und raste in Richtung Tiber davon.
Gabriel brauchte nicht lange, um zu erkennen, daß die BMW von einer Frau gefahren wurde: die sanft gerundeten Hüften, die schmale Taille, die in Jeans steckenden schlanken Beine, das üppig unter dem Helmrand hervorquellende Haar. Es war lockig und roch nach Jasmin und Tabak. Er wußte mit Sicherheit, daß er diese Mischung schon einmal gerochen hatte.
Sie rasten den Lungotevere entlang. Rechterhand konnte Gabriel die Kuppel des Petersdoms erkennen, die den Vatikanhügel überragte. Als sie den Tiber überquerten, schleuderte er Alessio Rossis Beretta ins schwarze Wasser.
Die Fahrt ging den Gianicolo hinauf weiter. An der Piazza Ceresi bogen sie in eine steile Wohnstraße ab, die von Steinpinien und kleinen Apartmenthäusern gesäumt war. Das Motorrad wurde langsamer, als ein in Eigentumswohnungen umgewandelter alter Palazzo zu sehen war. Die Fahrerin stellte den Motor ab und ließ die Maschine durch einen Torbogen rollen, bis sie auf dem unbeleuchteten Innenhof zum Stehen kam.
Gabriel stieg ab und folgte der Frau in die düstere Eingangshalle, dann zwei Treppen hinauf. Sie sperrte eine Wohnungstür auf und zog ihn über die Schwelle. In der dunklen Diele öffnete sie den Reißverschluß ihrer Motorradjacke und nahm den Sturzhelm ab. Eine Lockenmähne ergoß sich über ihre Schultern. Dann machte sie Licht.
»Sie?« rief Gabriel erstaunt.
Die junge Frau lächelte. Es war Chiara, die Tochter des Rabbis von Venedig.
Eric Langes Handy, das in seinem Pariser Hotelzimmer auf dem
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