Die Loge
Manzini haben im Zweiten Weltkrieg im Staatssekretariat gearbeitet, müssen Sie wissen.«
»In welcher Abteilung?«
»In der Deutschland-Abteilung.«
Rossi spähte nochmals lange auf die Straße hinab, bevor er fortfuhr: Ungefähr eine Woche später traf eine Antwort auf seine ursprüngliche Anfrage zum möglichen Verschwinden weiterer Geistlicher ein. Dieses Verschwinden erfüllte nicht unbedingt die Anfragekriterien, aber die örtliche Polizei hatte beschlossen, es trotzdem zu melden. Unweit der Grenze nach Österreich, in der oberitalienischen Stadt Tolmezzo, war eine alte Witwe verschwunden. Die dortigen Behörden hatten die Suche nach ihr aufgegeben, und sie galt nun offiziell als tot. Ihr Verschwinden war Rossi gemeldet worden, weil sie zehn Jahre lang Ordensschwester gewesen war, bevor sie im Jahr 1947 aus dem Orden ausgetreten war, um zu heiraten.
Rossi beschloß, seine Vorgesetzten einzubinden. Er verfaßte einen Bericht über den Stand der Ermittlungen, legte ihn seinem Abteilungsleiter vor und bat um die Erlaubnis, beim Vatikan energischer auf Informationen über die verschwundenen Geistlichen drängen zu dürfen. Abgelehnt. Die Tochter der ehemaligen Nonne lebte in Frankreich, in der Kleinstadt Le Rouret in den Bergen oberhalb von Cannes. Rossi bat um die Erlaubnis, nach Frankreich reisen und sie befragen zu dürfen. Abgelehnt. Von ganz oben wurde übermittelt, zwischen den Fällen Felici und Manzini gebe es keinen Zusammenhang, und es habe keinen Zweck, wegen dieser Sache hinter den Mauern des Vatikans herumzustochern.
»Von wem kam diese Mitteilung?«
»Vom Alten selbst«, sagte Rossi. »Carlo Casagrande.«
»Casagrande? Woher kenne ich diesen Namen?«
»General Carlo Casagrande war in den siebziger und achtziger Jahren Kommandeur der zur Terroristenbekämpfung aufgestellten Truppe L'arma dei Carabinieri . Er ist der Mann, der die Roten Brigaden niedergekämpft und Italien wieder sicher gemacht hat. Daher gilt er als eine Art Nationalheld. Er arbeitet jetzt beim vatikanischen Sicherheitsdienst, aber in hiesigen Polizei- und Geheimdienstkreisen wird er weiterhin wie ein Gott verehrt. Er ist unfehlbar. Spricht Casagrande, hört jeder zu. Erklärt Casagrande einen Fall für abgeschlossen, ist er abgeschlossen.«
»Wer verübt die Morde?« fragte Gabriel.
Der Kriminalbeamte zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen: Wir reden hier vom Vatikan, mein Freund . »Unabhängig davon, wer dahintersteckt, wünscht der Vatikan nicht, daß diese Angelegenheit weiterverfolgt wird. Die Mauer des Schweigens ist undurchdringlich, und Casagrande nutzt seinen ganzen Einfluß, um die italienische Polizei an der kurzen Leine zu halten.«
»Die ehemalige Nonne, die in Tolmezzo verschwunden ist – wie ist ihr Name?«
»Regina Carcassi.«
Finden Sie Schwester Regina und Martin Luther. Dann wissen Sie, was im Kloster wirklich geschehen ist.
»Und in welchem Kloster hat sie im Zweiten Weltkrieg gelebt, bevor sie aus dem Orden ausgetreten ist?«
»Irgendwo im Norden, glaube ich.« Der Inspektor zögerte einen Augenblick, während er sein Gedächtnis durchsuchte. »Ah, richtig, im Herz-Jesu-Kloster. Es liegt am Gardasee, in der Kleinstadt Brenzone. Schöne Gegend.«
Irgend etwas unten auf der Straße erregte Rossis Aufmerksamkeit. Er beugte sich vor, zog den Vorhang weiter auf und starrte angestrengt hinaus. Dann sprang er auf und packte Gabriel am Arm.
»Los, mitkommen! Sofort!«
Die ersten Polizeibeamten stürmten bereits die Pension durch den Vordereingang: zwei Kriminalbeamte der Polizia di Stato, denen ein halbes Dutzend Mitglieder der Antiterroreinheit L'arma dei Carabinieri mit vor der Brust getragenen Maschinenpistolen folgte. Rossi rannte durch den Gemeinschaftsraum voraus, dann folgte er einem kurzen Korridor, an dessen Ende eine Stahltür auf einen dunklen Innenhof hinausführte. Gabriel konnte hören, wie die Polizisten oben an die Tür zu seinem leeren Zimmer hämmerten. Sie waren lediglich der ersten Welle entkommen. Weitere würden garantiert folgen.
Auf der gegenüberliegenden Hofseite führte ein Durchgang zu einer Parallelstraße der Via Gioberti hinaus. Rossi packte Gabriel erneut am Arm und zog ihn dorthin mit sich. Hinter ihnen war zu hören, wie die Carabinieri die Zimmertür im ersten Stock der Pension aufbrachen.
Rossi erstarrte, als zwei weitere Carabinieri mit schußbereiten Waffen durch die Passage gestürmt kamen. Gabriel stieß ihn an, und sie setzten sich wieder in Bewegung.
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