Die Loge
Nachttisch lag, zirpte zum zweiten Mal an diesem Abend. Er hielt es ans Ohr und hörte schweigend zu, während Raschid Husseini ihm von der Schießerei in der »Pensione Abruzzi« berichtete. Carlo Casagrande wußte offenbar von Allon und hatte eine Bande unfähiger Polizeibeamter losgeschickt, um sie einen Auftrag ausführen zu lassen, den ein guter Mann mit einer Pistole leicht hätte allein erledigen können. Langes Chance, Allon eigenhändig zu liquidieren, war damit unter Umständen endgültig dahin.
»Was habt ihr jetzt vor?« fragte Lange.
»Wir suchen ihn – genau wie die halbe italienische Polizei. Aber ich kann nicht dafür garantieren, daß wir ihn finden werden. Die Israelis sind gut, wenn es darum geht, ihren Leuten aus kritischen Situationen rauszuhelfen.«
»Ja, das sind sie«, sagte Lange. »Ich möchte jedoch behaupten, daß die Station des israelischen Geheimdienstes in Rom heute nacht viel zu tun hat. Sie muß eine ziemliche Krise bewältigen.«
»Das muß sie allerdings.«
»Habt ihr schon Personal der dortigen Station identifiziert?«
»Zwei oder drei Leute kennen wir«, sagte Husseini.
»Vielleicht wäre es sinnvoll, sie zu beschatten. Mit etwas Glück führen sie euch zu ihm.«
»Sie erinnern mich an Abu Jihad«, sagte Husseini. »Er war ähnlich brillant.«
»Ich komme morgen früh nach Rom.«
»Geben Sie mir Ihre Flugnummer. Ich werde Sie von einem Mann abholen lassen.«
Gabriel stand lange unter der Dusche, säuberte die Schußwunde und wusch sich das Blut aus dem Haar. Chiara wartete auf ihn, als er in ein weißes Badetuch gewickelt aus dem Bad kam. Sie säuberte seine Schußverletzung nochmals und legte ihm einen Pflasterverband an. Dann injizierte sie ihm ein Antibiotikum und gab ihm zwei gelbe Kapseln, die er einnehmen sollte.
»Was ist das?«
»Etwas gegen Schmerzen. Nehmen Sie es. Damit schlafen Sie besser.«
Gabriel spülte die Kapseln mit einem Schluck Mineralwasser aus einer Plastikflasche hinunter.
»Ich habe Ihnen frische Sachen aufs Bett gelegt. Haben Sie Hunger?«
Gabriel schüttelte den Kopf und ging ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Er fühlte sich plötzlich unsicher auf den Beinen. Auf der Flucht hatten der hohe Adrenalinspiegel und die nervliche Anspannung ihn keine Schmerzen spüren lassen. Jetzt fühlte seine rechte Körperhälfte sich an, als habe er ein Messer zwischen den Rippen stecken.
Chiara hatte ihm einen blauen Jogginganzug hingelegt. Gabriel zog ihn vorsichtig an. Der Anzug war für einen viel größeren Mann geschnitten, deshalb mußte er die Ärmel und Beine hochkrempeln. Als er wieder herauskam, saß sie vor dem Fernseher und schaute die Nachrichten an. Sie wandte den Blick lange genug vom Bildschirm ab, um seine Erscheinung zu begutachten und die Stirn zu runzeln.
»Morgen früh besorge ich Ihnen Sachen, die besser passen.«
»Wie viele Tote?«
»Fünf«, sagte sie. »Und mehrere Verletzte.«
Fünf Tote … Gabriel schloß die Augen und kämpfte gegen eine aufsteigende Übelkeit an. Gleichzeitig brannte seine Wunde wie Feuer. Chiara, die erkannte, wie elend er sich fühlte, legte ihm eine Hand auf die Stirn.
»Sie haben Fieber«, sagte sie. »Sie müssen schlafen.«
»Nach solchen Ereignissen schlafe ich immer schlecht.«
»Das verstehe ich … vermutlich. Wie wär's mit einem Glas Wein?«
»Zu dem Schmerzmittel?«
»Vielleicht schlafen Sie dann besser.«
»Ein kleines Glas.«
Sie ging in die Küche. Gabriel richtete die Fernbedienung auf den Fernseher und schaltete ihn aus. Chiara kam zurück und stellte ihm ein Glas Wein hin.
»Nichts für Sie?«
Sie schüttelte den Kopf.»Ich bin dafür verantwortlich, daß Ihnen nichts passiert.«
Gabriel trank einen Schluck Wein. »Heißen Sie wirklich Chiara Zolli?«
Sie nickte.
»Und Sie sind wirklich die Tochter des Rabbis?«
»Ja, das bin ich.«
»Wo sind Sie stationiert?«
»Offiziell gehöre ich zur Station Rom, aber ich reise ziemlich viel.«
»Um was zu tun?«
»Ach, Sie wissen schon – mal dies, mal jenes.«
»Und Ihr Auftritt neulich abend?«
»Schamron hat mich gebeten, Sie während Ihres Aufenthalts in Venedig im Auge zu behalten. Sie können sich vorstellen, wie überrascht ich war, als Sie im Gemeindezentrum aufgekreuzt sind, um mit meinem Vater zu sprechen.«
»Was hat er Ihnen über unser Gespräch erzählt?«
»Daß Sie ihm einen Haufen Fragen über italienische Juden im Zweiten Weltkrieg gestellt haben – und übers Herz-Jesu-Kloster am Gardasee. Wollen
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