Die Loge
Unterarme auf dem Tisch ruhen. »Was machen Sie in Rom, Gabriel? Und erzählen Sie mir keinen Scheiß.«
Als Gabriel Pazner mitteilte, er sei in Schamrons Auftrag in Rom, warf der Stationsleiter seinen runden Kopf in den Nacken und atmete prustend aus. »Schamron? Deshalb hat niemand am King Saul Boulevard gewußt, mit welchem Auftrag Sie unterwegs sind. Verdammt noch mal! Ich hätte wissen müssen, daß der Alte hinter dieser Sache steckt.«
Gabriel schob die Tageszeitungen beiseite. Er wußte, daß er Pazner eine Erklärung schuldig war. Es war leichtsinnig gewesen, nach Rom zu kommen, nachdem Peter Malone ermordet worden war. Er hatte seine Feinde unterschätzt und ein gewaltiges Chaos verursacht, das der Stationsleiter wieder in Ordnung bringen mußte. Gabriel trank eine Tasse Kaffee, um klarer denken zu können, und erzählte Pazner die Geschichte von Anfang an. Chiaras Blick blieb die ganze Zeit unbeirrbar auf ihn gerichtet. Pazner schaffte es, bis etwa zur Hälfte von Gabriels Bericht Ruhe zu bewahren, aber als sich die Geschichte ihrem Ende näherte, begann er nervös zu rauchen.
»Offenbar haben sie Rossi beschattet«, sagte Pazner. »Und Rossi hat sie zu Ihnen geführt.«
»Er scheint gewußt zu haben, daß er überwacht wurde. In meinem Zimmer stand er ständig am Fenster. Er hat sie kommen gesehen, aber da war es schon zu spät.«
»Ist in Ihrem Zimmer irgendwas zurückgeblieben, das auf eine Verbindung zum Dienst hinweist?«
Gabriel schüttelte den Kopf. Dann fragte er Pazner, ob er jemals von einer Organisation namens Crux Vera gehört habe.
»In Italien hört man alle möglichen Gerüchte über Geheimgesellschaften und vatikanische Intrigen«, antwortete Pazner. »Erinnern Sie sich an den Skandal um die Loge P2 in den achtziger Jahren?«
Vage, dachte Gabriel. Der italienischen Polizei war damals ganz zufällig ein Schriftstück in die Hände gefallen, das die Existenz einer rechtsextremen Geheimgesellschaft bewies, die höchste Regierungs-, Militär- und Geheimdienstkreise unterwandert hatte. Vermutlich auch den Vatikan.
»Ich habe den Namen Crux Vera schon gehört«, fuhr Pazner fort, »aber nie sonderlich viel darauf gegeben. Zumindest bisher nicht.«
»Wann komme ich von hier weg?«
»Wir schaffen Sie heute abend fort.«
»Wohin?«
Pazner nickte nach Osten, und der entschlossene Ausdruck seiner dunklen Augen zeigte Gabriel, daß er Israel meinte.
»Ich will nicht nach Israel. Ich muß herausfinden, wer Benjamin ermordet hat.«
»Sie können sich jetzt nirgends in Europa mehr frei bewegen. Sie sind aufgeflogen. Sie reisen nach Hause – Punktum! Schamron ist nicht mehr der Chef. Lev ist der Chef, und er hat keine Lust, über eine der Eskapaden des Alten zu stolpern.«
»Wie wollt ihr mich außer Landes bringen?«
»Genau wie damals Vanunu – mit einem Schiff.«
»Wenn ich mich recht erinnere, war auch das eine von Schamrons Eskapaden .«
Mordecai Vanunu war ein unzufriedener Arbeiter im Kernforschungszentrum Dimona gewesen, der einer Londoner Zeitung Einzelheiten über Israels Atomwaffenbau berichtet hatte. Eine Agentin namens Cheryl Ben-Tow hatte Vanunu aus London nach Rom gelockt, wo er entführt und mit einem Motorboot an Bord eines vor der italienischen Küste bereitliegenden israelischen Kriegsschiffs gebracht worden war. Nur wenige Leute außerhalb des Diensts kannten jedoch die Wahrheit: Der Geheimnisverrat des angeblichen Überläufers Vanunu war von Ari Schamron eingefädelt und gesteuert worden, um Israels Feinden vor Augen zu führen, daß sie keine Chance hatten, die Atomlücke zu schließen. Zugleich hatte er damit Israel weiterhin erlaubt, den Besitz von Atomwaffen offiziell leugnen zu können.
»Vanunu hat Italien betäubt und in Ketten verlassen«, sagte Pazner. »Diese Demütigung bleibt Ihnen erspart, wenn Sie sich kooperativ verhalten.«
»Wann soll's losgehen?«
»Bei Fiumicino gibt es eine für unsere Zwecke ideale Bucht. Von dort legt heute abend um neun ein Schlauchboot mit Ihnen ab. Fünf Seemeilen vor der Küste treffen Sie mit einer hochseetüchtigen Motorjacht mit einem Mann Besatzung zusammen. Er ist jetzt beim Dienst und hat zuvor viele Jahre lang ein Schnellboot unserer Marine kommandiert. Er bringt Sie zurück nach Tel Aviv. Ein paar Tage auf See tun Ihnen bestimmt gut.«
»Wer bringt mich zu der Jacht?«
Pazner nickte zu Chiara hinüber. »Sie ist in Venedig aufgewachsen. Mit Booten kann sie verdammt gut umgehen.«
»Mit Motorrädern auch«,
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