Die Loge
streckte die Hand aus.
23
L E R OURET , P ROVENCE
Bei herabsinkender Abenddämmerung ließ Gabriel, vom wilden Gekläff der belgischen Schäferhunde begleitet, langsam Antonella Hubers Villa hinter sich. Chiara, die neben ihm saß, hielt den Umschlag mit Schwester Reginas Bericht umklammert. Am Fuß des Hügels bog er auf eine zweispurige Fernstraße ab und fuhr in Richtung Grasse nach Westen weiter. Das letzte Licht des schwindenden Tages brannte wie eine scharlachrote Wunde über den Hügeln.
Einige Minuten später fiel ihm ein dunkelgrauer Fiat auf. Der Mann am Steuer war auffällig vorsichtig. Er setzte nie zum Überholen an, und selbst als Gabriel sein Tempo auf weniger als sechzig Stundenkilometer verringerte, blieb der Fiat mehrere Wagenlängen hinter ihm. Gabriel sagte sich, daß dort kein gewöhnlicher französischer Raser am Steuer sitze.
Er folgte der Straße nach Grasse hinein und bog bergab in die Altstadt ab. Sie befand sich seit langem fest in der Hand nordafrikanischer Einwanderer, so daß sich Gabriel für einen Augenblick fast nach Algier oder Marrakesch versetzt fühlte.
»Legen Sie den Umschlag weg«, sagte er knapp.
»Was ist los?«
»Wir werden verfolgt.«
Gabriel fuhr schneller, bog mehrmals plötzlich ab und beschleunigte wieder.
»Ist er noch hinter uns?« fragte Chiara.
»Unverändert.«
»Was machen wir jetzt?«
»Wir machen eine kleine Rundfahrt mit ihm.«
Er verließ die Altstadt und fuhr bergauf zur Fernstraße zurück. Der Fiat folgte ihnen mit geringem Abstand. Gabriel durchquerte die Stadt in flottem Tempo und bog dann auf die N85 ab, die hinter Grasse durch die Ausläufer der Seealpen führte. Zehn Sekunden später kam der Fiat im Rückspiegel wieder in Sicht. Gabriel trat das Gaspedal durch und ließ den Peugeot die Steilstrecke hinaufrasen.
Grasse blieb immer weiter hinter ihnen zurück. Die Straße war kurvenreich, voller Serpentinen und Kehren. Rechts von ihnen stiegen mit Unterholz bewachsene Berghänge an; links lag eine tiefe Schlucht, die steil zum Mittelmeer abfiel. Der Peugeot war nicht so stark motorisiert, wie Gabriel es sich gewünscht hätte, und obwohl er fast permanent Vollgas gab, blieb der Fiat mühelos hinter ihnen. Riskierte er auf geraden Straßenstücken einen raschen Blick in den Rückspiegel, sah er die graue Limousine stets einige Wagenlängen hinter ihnen. Einmal glaubte er, den Fahrer mit einem Handy telefonieren zu sehen. Für wen arbeitest du? Wen rufst du an? Und wie zum Teufel hast du uns gefunden? Antonella Huber … Diese Leute hatten ihre Mutter ermordet. Wahrscheinlich ließen sie die Villa von einem Mann überwachen.
Zehn Minuten später tauchte die Kleinstadt St.-Vallier-de-Thiey vor ihnen auf: still und mit fest geschlossenen Fensterläden. Gabriel hielt am Rand des kleinen Platzes in der Ortsmitte und tauschte mit Chiara die Plätze. Der Fiatfahrer parkte auf der anderen Seite des Platzes und wartete. Gabriel ließ Chiara die D5 in Richtung St.-Cézaire-sur-Siagne nehmen, dann zog er die 9-mm-Beretta, die Schimon Pazner ihm in Rom gegeben hatte. Der Fiat blieb weiter hinter ihnen.
Vor ihnen lag eine lange Gefällestrecke, die in einigen Abschnitten kurvenreich und schwierig, in anderen gerade und schnell war. Chiara fuhr genauso, wie sie die Jacht gesteuert hatte: geschickt und mit der lässigen Selbstsicherheit, die Gabriel so attraktiv an ihr fand.
»Haben Sie an der Akademie die Kurse für defensives Fahren belegt?«
»Natürlich.«
»Haben Sie auch etwas dabei gelernt?«
»Ich war die beste meiner Gruppe.«
»Das will ich sehen.«
Chiara schaltete herunter und trat das Gaspedal durch. Der Peugeot schoß mit aufheulendem Motor vorwärts. Sie blieb in diesem Gang, bis die Nadel des Drehzahlmessers im roten Bereich stand, und schaltete dann blitzschnell. Gabriel sah zum Tachometer hinüber und stellte fest, daß dieser knapp hundertsechzig anzeigte. Die plötzliche Beschleunigung schien den Fiatfahrer überrascht zu haben, aber er holte rasch auf und war bald wieder am gewohnten Platz – zwanzig Meter hinter ihrer Stoßstange.
»Unser Freund ist wieder da«, sagte Gabriel.
»Was soll ich tun?«
»Lassen Sie ihn richtig arbeiten. Er soll nervös werden.«
Auf einer langen, sanft abfallenden Geraden brachte Chiara den Peugeot auf über hundertachtzig. Dann folgte ein kurvenreicher Abschnitt, in dem sie blitzschnell herunterschaltete, vor jeder Kurve bremste und am Kurvenausgang wieder beschleunigte. Beim Fahrertraining
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