Die Loge
an der Akademie hatte sie nachweislich viel gelernt. Der Mann im Fiat hatte Mühe, ihnen zu folgen. In zwei Kurven wäre er beinahe von der Straße abgekommen.
Bei diesem Tempo dauerte es nicht lange, bis sie die mittelalterliche Kleinstadt St.-Cézaire erreichten, die noch Reste ihrer alten Stadtmauer zur Schau trug und von der D5 durchschnitten wurde. Chiara wurde langsamer. Gabriel fuhr sie an, schneller zu fahren.
»Und was ist, wenn jemand über die verdammte Straße läuft?«
»Das ist mir egal! Schneller, verdammt noch mal!«
»Gabriel!«
Sie rasten durch die dunkle Kleinstadt, die sie nur verschwommen wahrnahmen. Der Fiatfahrer traute sich nicht, bei diesem Tempo mitzuhalten, und wurde in St.-Cézaire langsamer. Ihr Vorsprung beim Verlassen der Stadt betrug rund dreihundert Meter.
»Verdammt, das war verrückt! Wir hätten jemanden überfahren können!«
»Lassen Sie ihn nicht näher rankommen.«
Die Straße war jetzt vierspurig ausgebaut. Links von ihnen lag ein für seine Höhlen und Grotten bekanntes großes Naturschutzgebiet, und in der Ferne ragte – im hellen Vollmondschein deutlich zu sehen – eine kahler Gebirgskamm auf.
»Hier abbiegen!«
Chiara bremste scharf und ließ den Peugeot mit hohem Tempo durch die Kurve schlittern. Dann schaltete sie blitzschnell herunter, gab sofort wieder Gas und raste auf einer unbefestigten Straße weiter. Gabriel drehte sich zu einem weiteren suchenden Blick nach hinten um. Der Fiat war ebenfalls abgebogen und nahm die Verfolgung wieder auf.
»Licht aus!«
»Dann sehe ich nichts mehr!«
»Licht aus!«
Sie schaltete die Scheinwerfer aus und wurde instinktiv langsamer, aber Gabriel brüllte sie an, sie solle schneller fahren. Chiara gehorchte, woraufhin sie in halsbrecherischem Tempo durch hellen Mondschein rasten. Dann erreichten sie ein Wäldchen aus Krüppeleichen und Schirmpinien, in dem die Straße scharf nach rechts abbog. Die Scheinwerfer des Fiats waren nirgends zu sehen.
»Stopp!«
»Hier?«
»Stopp!«
Chiara machte eine Vollbremsung. Gabriel stieß seine Tür auf. Die Luft war voller aufgewirbeltem Staub. »Fahren Sie weiter«, sagte er, dann sprang er aus dem Wagen und knallte die Tür zu.
Sie fuhr in Richtung Gebirge weiter. Sekunden später hörte Gabriel den Fiat heranrasen. Er trat von der Straße weg, kniete hinter einer Eiche nieder und brachte die Beretta in Anschlag. Als der Fiat um die Kurve geprescht kam, gab Gabriel mehrere Schüsse auf die Reifen ab.
Mindestens zwei Reifen explodierten. Der Wagen geriet sofort außer Kontrolle: Er bockte und schleuderte, bevor die Zentrifugalkraft ihn aus der Kurve trug und er sich mehrmals überschlug. Das Ganze ging so schnell, daß Gabriel nicht mitzählen konnte, aber es mußten fünf bis sechs Überschläge gewesen sein. Er stand auf und ging mit schußbereiter Pistole langsam auf den deformierten Blechhaufen zu. Irgendwo klingelte ein Handy.
Der Fiat lag mit den Rädern nach oben auf dem eingedrückten Dach. Gabriel beugte sich hinunter, sah durch eines der zersplitterten Fenster und stellte fest, daß der Fahrer auf dem zerbeulten Wagenhimmel lag. Seine Beine waren grotesk verdreht, seine Brust war eingedrückt und blutete stark. Trotzdem war er noch bei Bewußtsein und schien nach einer Pistole greifen zu wollen, die nur eine Handbreit von seinen Fingern entfernt lag. Sein Blick war konzentriert, aber die Hand wollte den Befehlen seines Gehirns nicht gehorchen. Er hatte sich das Genick gebrochen, wußte es aber noch nicht.
Zuletzt ließ sein Blick von der Waffe ab, und er sah Gabriel an.
»Es war dumm von Ihnen, uns zu verfolgen«, sagte Gabriel halblaut. »Sie sind ein Amateur. Ihr Boss hat Sie zu einem Himmelfahrtskommando losgeschickt. Wer ist Ihr Boss? Er hat Ihnen das hier angetan, nicht ich.«
Der Mann konnte nur ein Gurgeln ausstoßen. Er starrte Gabriel an, aber sein Blick wirkte verschwommen. Er hatte nicht mehr lange zu leben.
»Sie sind nicht zu schwer verletzt«, sagte Gabriel sanft. »Ein paar Schnittwunden und Prellungen. Vielleicht auch ein, zwei Knochenbrüche. Sagen Sie mir, für wen Sie arbeiten, damit ich einen Krankenwagen rufen kann.«
Die Lippen des Mannes bewegten sich, und er stieß einen Laut aus. Gabriel beugte sich tiefer hinunter, um ihn zu verstehen.
»Casszzz … Cassszzzzzz … Zzzzzzz …«
»Casagrande? Carlo Casagrande? Versuchen Sie, mir das zu sagen?«
»Cassszzzzzz … zzzzzzz …«
Gabriel griff ins Sakko des Sterbenden und suchte
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