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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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tastend, bis er eine Geldbörse fand. Sie war voller Blut. Als er sie einsteckte, konnte er wieder das Handy klingeln hören. Es mußte irgendwo auf dem Rücksitz gelandet sein. Er warf einen Blick durch die Öffnung, in der die Heckscheibe gesessen hatte, und sah das Handy, dessen Bildschirm grünlich aufleuchtete, unter dem Kofferraum auf dem Boden liegen. Er streckte eine Hand danach aus und bekam es zu fassen. Er drückte auf die richtige Taste und hielt es ans Ohr.
    »Pronto.«
    »Was geht dort vor? Wo steckt er?«
    »Er ist hier«, sagte Gabriel ruhig auf italienisch. »Tatsächlich spricht er gerade mit Ihnen.«
    Schweigen .
    »Ich weiß, was sich im Herz-Jesu-Kloster ereignet hat«, sagte Gabriel. »Ich weiß über die Crux Vera Bescheid. Ich weiß, daß Sie meinen Freund ermordet haben. Ich komme jetzt, um Sie zu erledigen.«
    »Wo ist mein Mann?«
    »Dem geht es im Augenblick nicht so gut. Möchten Sie mit ihm sprechen?«
    Gabriel legte das Handy eine Handbreit vom Mund des Sterbenden entfernt auf dem Wagenhimmel ab. Als er sich aufrichtete, konnte er die Lichter des Peugeots auf sich zuholpern sehen. Chiara bremste und brachte das Auto wenige Meter vor ihm zum Stehen. Als Gabriel zu ihrem Wagen zurückging, hörte er nur einen Laut:
    »Casszzzz … Cassszzzzzz … Zzzzzzzz …«

24
    S T .-C ÉZAIRE , P ROVENCE
    Gabriel durchsuchte die Geldbörse des Toten im jadegrünen Licht der Amaturenbeleuchtung. Er fand weder einen Führerschein noch irgendeinen Ausweis. Schließlich entdeckte er eine Art Visitenkarte, die zusammengefaltet hinter dem Photo einer jungen Frau in einem ärmellosen Sommerkleid steckte. Die Karte war so alt, daß er die Innenbeleuchtung einschalten mußte, um den verblaßten Namen lesen zu können: PAOLO OLIVERO, UFFICIO SICUREZZA DI VATICANO. Er hielt sie hoch, um sie Chiara zu zeigen. Sie warf einen Blick darauf, dann konzentrierte sie sich wieder auf die Straße.
    »Was steht darauf?«
    »Daß die Wahrscheinlichkeit groß ist, daß der Mann, den ich umgebracht habe, ein vatikanischer Bulle war.«
    »Klasse.«
    Gabriel merkte sich die Telefonnummer unter dem Namen, dann zerriß er die Karte in kleine Schnitzel und ließ diese aus dem Fenster flattern. Sie kamen zur autoroute . Als Chiara langsamer fuhr, weil sie nicht wußte, wohin, dirigierte Gabriel sie nach Westen, in Richtung Aix-en-Provence. Sie zündete sich mit dem Zigarettenanzünder eine Zigarette an. Ihre Hand zitterte sichtbar.
    »Möchten Sie mir nicht sagen, wohin wir als nächstes fahren?«
    »So rasch wie möglich aus der Provence hinaus«, sagte er. »Weiter habe ich noch nicht gedacht.«
    »Darf ich meine Meinung dazu äußern?«
    »Warum sollten Sie das nicht tun können?«
    »Es wird Zeit, die Heimreise anzutreten. Sie wissen, was sich in dem Kloster ereignet hat, und Sie wissen, wer Benjamin Stern ermordet hat. Hier können Sie nicht mehr tun, als sich ein noch tieferes Loch zu graben.«
    »Es gibt noch mehr«, sagte Gabriel. »Es muß mehr geben.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Er starrte geistesabwesend aus dem Fenster. Die Landschaft war kahl und wurde vom Wind gepeitscht, in der Luft hing rötlicher Staub, aber Gabriel nahm nichts davon wahr. Statt dessen sah er Mater Vincenza an eben der Stelle sitzen, an der Martin Luther und Bischof Lorenzi ihren Todespakt besiegelt hatten, und hörte sie sagen, Benjamin sei ins Herz-Jesu-Kloster gekommen, um sich über die Juden zu informieren, die dort Zuflucht gefunden hatten. Er hörte Alessio Rossi – vor Angst schwitzend, mit völlig abgekauten Fingernägeln – berichten, wie Carlo Casagrande ihn gezwungen hatte, seine Ermittlungen im Fall der verschwundenen Geistlichen einzustellen. Er sah Schwester Regina Carcassi, die atemlos belauschte, wie Luther und Lorenzi seelenruhig darüber diskutierten, weshalb Papst Pius XII. zu einem Völkermord schweigen sollte, während ein Kind mit dem Kopf auf ihrem Schoß friedlich schlief, einen Rosenkranz in der Hand.
    Und zuletzt sah er Benjamin, einen jungen Mann von zwanzig Jahren, kurzsichtig und mit schmalen Schultern, brillant und für eine Gelehrtenlaufbahn bestimmt. Er hatte dem »Zorn-Gottes«-Team so unbedingt angehören wollen, wie Gabriel es hatte verlassen wollen. Tatsächlich wollte Benjamin ein aleph, ein Attentäter, sein, aber sein methodisch arbeitender Verstand hinderte ihn daran, die Fertigkeiten zu erwerben, die man brauchte, um in einer finsteren Gasse mit einer Beretta in das Gesicht eines Mannes zu zielen und

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