Die Loge
Nationalsozialismus und seinen Kreuzzug gegen den Bolschewismus immer nachdrücklich unterstützt. Wir haben in aller Stille, aber trotzdem eifrig daran gearbeitet, die Politik des Vatikans im Sinne unseres gemeinsamen Ziels einer von der bolschewistischen Gefahr befreiten Welt auszurichten. Ich kann dem Papst nicht vorschreiben, wie er sich zu dieser Situation zu äußern hat. Ich kann ihm nur meinen von Herzen kommenden Rat anbieten, ihn so nachdrücklich wie möglich formulieren und dann hoffen, daß er ihn annimmt. Eines kann ich Ihnen jedoch versichern: Im Augenblick neigt er nicht dazu, sich zu diesem Thema zu äußern. Seiner Ansicht nach würde ein Protest nur die Situation der deutschen Katholiken erschweren. Außerdem liebt er die Juden nicht und glaubt, daß sie ihre gegenwärtige Misere in vieler Beziehung selbst verschuldet haben. Ihre Überlegungen zur zukünftigen Situation in Palästina vermehren mein Arsenal um eine wirksame neue Waffe. Ich bin sicher, daß Seine Heiligkeit sie mit großem Interesse zur Kenntnis nehmen wird. Gleichzeitig bitte ich Sie, alles zu vermeiden, was den Heiligen Vater zum Handeln drängen könnte. Der Heilige Stuhl möchte sich nicht gezwungen sehen, sein Mißfallen ausdrücken zu müssen.«
»Wie Sie sich denken können, freue ich mich sehr, dies von Ihnen zu hören, Euer Exzellenz. Sie haben wieder einmal bewiesen, daß Sie ein wahrer Freund des deutschen Volkes und ein zuverlässiger Verbündeter in unserem Kampf gegen Bolschewismus und Weltjudentum sind.«
»Und Sie können von Glück sagen, Herr Luther, daß es im Vatikan einen weiteren wahren Freund des deutschen Volkes gibt – einen Mann, der hoch über mir steht. Er wird auf mich hören. Was mich persönlich betrifft, bin ich froh, wenn wir diese Leute los sind.«
»Ich finde, darauf sollten wir einen Toast ausbringen.«
»Das finde ich auch. Schwester Regina?«
Ich betrat den Raum. Meine Knie zitterten.
»Bringen Sie uns eine Flasche Champagner«, wies der Bischof mich auf italienisch an, dann fügte er hinzu: »Nein, Schwester, bringen Sie gleich zwei. Heute nacht haben wir etwas zu feiern.«
Wenig später kam ich mit zwei Flaschen zurück. Eine davon explodierte, als ich sie entkorkte, so daß Champagner mein Ordensgewand bespritzte und über den Tisch lief. »Ich habe Ihnen ja gesagt, daß sie ein Bauernmädchen ist«, sagte der Bischof. »Sie muß die Flasche unterwegs geschüttelt haben.«
Die anderen lachten ausgelassen auf meine Kosten, und ich mußte wieder lächeln und so tun, als hätte ich nichts verstanden. Ich goß den Champagner ein und wollte wieder gehen, aber Bischof Lorenzi hielt mich am Ärmel fest. »Wollen Sie nicht ein Glas mit uns trinken, Schwester Regina?«
»Nein, das kann ich nicht, Euer Exzellenz. Das schickt sich nicht.«
»Unsinn!« Er wandte sich an Herrn Luther und fragte ihn auf deutsch, ob es ihm recht sei, wenn ich nach all der Arbeit bei der Zubereitung des Abendessens ein Glas Champagner mittränke.
»Ja, natürlich!« rief Herr Luther aus. »Ich bestehe sogar darauf!«
Und so stand ich in meinem befleckten Ordenskleid da und trank ihren Champagner. Und ich gab vor, nichts zu verstehen, als sie sich gegenseitig zu einer äußerst erfolgreichen Nachtsitzung gratulierten. Als sie schließlich gingen, schüttelte ich dem Massenmörder Luther die Hand und küßte den mir dargebotenen Ring seines Komplizen Bischof Lorenzi.
Sobald ich wieder in meiner Zelle war, schrieb ich gewissenhaft das Gespräch nieder, dessen Zeugin ich zuvor geworden war. Danach lag ich bis Tagesanbruch wach. Ich durchlitt eine Nacht vollkommener Agonie.
Dies schreibe ich an einem Septemberabend des Jahres 1947 nieder, am Vorabend einer Hochzeit, die ich mir nie gewünscht habe. Ich stehe davor, einen Mann zu heiraten, den ich gern habe, aber nicht wirklich liebe. Ich tue das, weil es der einfachere Weg ist. Wie könnte ich erklären, aus welchem Grund ich tatsächlich den Orden verlasse? Wer würde mir eine solche Geschichte glauben?
Ich habe nicht die Absicht, jemandem von jener Nacht zu erzählen, nicht die Absicht, jemandem dieses Schriftstück zu zeigen. Es ist ein Dokument der Schande. Der Tod von sechs Millionen lastet schwer auf meinem Gewissen. Ich wußte etwas, und ich habe geschwiegen. In manchen Nächten erscheinen sie mir, mit ihren ausgemergelten Körpern und in ihrer zerschlissenen Häftlingskleidung, und fragen mich, weshalb ich mich nicht zu ihrer Verteidigung zu Wort gemeldet
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