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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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neurotische Fixierung auf einen bestimmten Objekttyp. 76 Bei noch größerer neurotischer Untergrundangst entfernt sich das Angst auslösende Objekt immer weiter in seinem Aussehen von dem realen Angstobjekt. Dann kann die Bühnenangst schon bei harmlosen Objekten wie kleinen Vögeln ausgelöst werden.
    Unter Umständen bleibt die Begegnungsangst präsent, auch wenn der Weberknecht gar nicht da ist. Deshalb werden Örtlichkeiten gemieden, an denen man Weberknechten begegnen könnte, z.B. Kellerräume. Es kommt zu einer neurotischen Einengung gegenüber dem harmlosen Objekt sowohl in der direkten Begegnung wie auch in der sonstigen Lebensgestaltung, da die eigene Bewegungsfreiheit empfindlich eingeschränkt werden kann. Die zweite Außenraumbühne bleibt im Hintergrund permanent aktiv und bestimmt als Hauptbühne, wo es für die Person noch langgehen darf. Eine vollständige Entängstigung und stimmige Einordnung der zweiten Außenraumbühne in die Bühnenstaffelung gelingt nicht mehr. Die Person ist in ihrem neurotischen Gefängnis in der zweiten Außenraumbühne eingeschlossen. Verhaltenstherapie kann helfen, die überwertige Angst zu reduzieren und die Freiheitsgrade im Außen wieder zu erlangen. Allerdings bleiben bei diesem Ansatz die unter Umständen in der Person liegenden Gründe für die innerpsychische Überängstigung unberücksichtigt, weshalb es zur Symptomverschiebung kommen kann. Wird durch die Verhaltenstherapie das grelle Zweite-Außenbühnenlicht wieder stimmig heruntergedimmt, kann eine andere Bühne plötzlich überbeleuchtet werden, da die für die Überbeleuchtung
verantwortliche Angst nicht reduziert und bearbeitet wurde. Tiefenpsychologische Behandlung kann helfen, die intrapsychischen Gründe der chronischen Überängstigung zu erhellen.
Verschiebung der Gefahr von innen nach außen
    Dabei sei darauf hingewiesen, dass die gemiedenen und Angst auslösenden Objekte des Phobikers in der Realität seiner lebensgeschichtlichen Entwicklung nur in den seltensten Fällen durch ein bestimmtes Erlebnis angestoßen worden sind. Vielmehr sind sie Ersatzobjekt für innerliche, oft nicht im Bewusstsein vorhandene oder mit diesen vereinbare differente Themenfelder. Die zweite Außenraumbühne wird deshalb beleuchtet, weil die eigentlich im Inneren des Patienten bestehende Gefahr zu einer Überängstigung führt, welche die alarmbereiten Außenraumbühnen aktiviert und deren Inhalte auftreten lässt, unter Umständen symbolisch verschlüsselt. Kurzfristig kommt es zur Erleichterung, da, jetzt im Außen untergebracht, die vermeintliche wirkliche Problematik, die nur eine Scheinproblematik ist, gemieden werden kann. Der Kleintierphobiker meidet erfolgreich über den Umweg im Außen eigentlich einen Teilaspekt von sich selbst. Der Erfolg ist aber ein fauler Kompromiss. Zum einen, weil die mangelnde Selbsterkenntnis das eigentliche Problem nicht löst und die Person auf ihrer Problematik sitzen bleibt, zum anderen wird die Präsenz der zweiten Außenraumbühne immer schneller angesprochen. Die Angst weitet sich auf immer mehr belebte Objekte aus und das neurotische Gefängnis wird immer enger und ausbruchssicherer.
Fallbeispiel: Kleintierparanoia
    Nimmt die Untergrundangst ein noch stärkeres Ausmaß an, findet sich ein anderes Krankheitsbild, das aber eigentlich nur eine Themenvariation in der Bühnenpräsenz darstellt.

    Ein 72-jähriger Patient kommt mit Einweisung in die stationäre psychiatrische Behandlung. Gleich zu Beginn macht er klar, dass er eigentlich nur auf Drängen seines Hausarztes in die Klinik komme. Er sei ganz bestimmt nicht verrückt. In den nächsten Tagen habe er einen Termin im gerichtsmedizinischen Institut der Universitätsklinik, dort werde er Beweise für seine Vermutung vorlegen und diese würden sicherlich bestätigt werden. Seit zwei Jahren sei seine Wohnung jetzt schon verseucht. In seine Matratze und in seine Teppiche, vor allem in die rund um sein Bett, seien kleine Tiere eingedrungen, die ihn gesundheitlich schädigen würden. Seine Augen seien häufig morgens verschwollen und gerötet, er fühle sich oft kraftlos und müde. Ein Wechsel der Matratze habe keine Besserung gebracht, nicht einmal ein Wohnungsumzug.
    Auf welchem Wege die gesundheitliche Schädigung durch die kleinen Tiere geschehen könne, kann er nicht angeben. Ebenso nicht, um welche Tiere es sich eigentlich handeln könne. Auch die Größe bleibt unklar. Auf jeden Fall seien sie wohl mit bloßem Auge erkennbar.

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