Die Logik des Verruecktseins
Die Evolution hat mit unserem Gehirn keine ultrastabile Weltinterpretationsmaschine gebaut, sondern eine Struktur errichtet, die gerade ausreicht, um das reproduktive Evolutionsziel zu erreichen.
Herbert Spencer, ein Zeitgenosse Darwins, prägte als Verständnismetapher evolutionärer Prozesse den Begriff des »survival of the fittest«, den Darwin in die Entstehung der Arten zunächst als Kapitelüberschrift aufnahm, später aber bei Neuauflagen wieder verwarf. In unserem Kontext der Pathologiealternativen sehen wir, dass eine Realgefahr und ihre Erkennung sowie »Entschärfung« unausweichlich, man könnte sagen systemimmanent, mit drei psychopathologischen Dekompensationsstufen verbunden sein muss. Gerade die Voraussetzungen für unseren evolutionären Erfolg machen uns pathologievulnerabel.
Menschliche Psychopathologie ist demzufolge pseudoparadox »illness of the fittest«.
Die Einschränkung der Funktionstüchtigkeit kann durch körperlich begründbare Erkrankungen auftreten ebenso wie durch eine »Überregung« des Gehirns, deren zentrale Ursache aus einer permanent anwesenden Untergrundangst besteht. Je größer die Angst, desto größer der projektive Anteil, den das Gehirn der Welt da draußen untermischt. Das neurotische Krankheitsgeschehen steht dabei dem Reaktiven näher, das endogene dem körperlich Begründbaren.
Dehnen wir unsere Erkenntnisse jetzt auf alle Außenraumbühnen aus. Jede Raumbühne kennt ihre Realgefahren. Jede Raumbühne kennt darüber hinaus ihre neurotische Einengung auf ein Bühnenthema sowie ihren pseudoneurotischen (körperlich begründbaren) Zwilling. Jede Raumbühne kennt die paranoide Themeneinengung im Rahmen nicht funktionell begründeter Angstüberflutung und ebenfalls ihren körperlich begründbaren Zwilling. Und schließlich noch findet sich in der horizontalen Bühneneskalation als Drittes die Funktionsstörung mit hundertprozentiger Projektion des Sorgeninhaltes, die dann Halluzination genannt wird und ebenfalls körperlich begründbar ist oder psychische Ursachen haben kann. 77 Wie das auf den anderen Raumbühnen in Erscheinung tritt, das werden wir später sehen.
Damit haben wir nach der vertikalen Raumdurchschreitung des vorangegangenen Kapitels auch die horizontale Thementiefe und ihre Variationen kennengelernt. Dadurch haben wir jetzt in allen Kapiteln zusammengenommen genug Teilinformationen über das Seelenlabyrinth gewonnen, um es nun in seiner Ganzheit in Augenschein zunehmen.
18. Das Geheimnis des Seelenlabyrinths
Die verschiedenen Räume, ihr wohlgeordneter Aufbau und die klaren Strukturregeln unserer Psyche
Wenn wir alle bisher auf diesen Buchseiten zusammengetragenen Informationen übereinander stapeln und gegen das Erkenntnislicht halten, dann schwebt plötzlich das Seelenlabyrinth sichtbar vor uns. Wenn wir es mit zwei Augen betrachten, einmal aus der Perspektive der Individualentwicklung eines Menschen und gleichzeitig mit dem evolutionären Auge, das aus der Perspektive der evolutionären Entwicklung hin zur Menschheit auf das Seelenlabyrinth gerichtet ist, dann erkennen wir eine dreidimensionale, gewundene Struktur. Im Seelenlabyrinth, das aus der Gesamtfunktion unseres Gehirns in allen seinen Kapazitäten entworfen wird, bewegt sich unentwegt jeder Mensch. Wir bewegen uns bedarfsangepasst in den durch das Seelenlabyrinth bereitgestellten, unterschiedlichen Interpretationsräumen mit deren unterschiedlichem Weltverständnis und unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben. Abhängig davon, in welchem Raum des Seelenlabyrinths wir uns gerade bewegen, entfalten wir unterschiedliche Kapazitäten unseres funktionellen Seins, die wir als »dynamisches Binnenvolumen« der Person kennengelernt haben. Die Reisen durch das Seelenlabyrinth ermöglichen es, richtige Antworten auf Herausforderungen des Lebens mit seinen zu erwartenden Gefahrenmomenten bereitzuhalten und erfolgreich darin navigieren zu können. Aber wie ist das Seelenlabyrinth zu seiner so hilfreichen Struktur gekommen? Es beinhaltet ganz offensichtlich unterschiedliche Räume. Wie sind diese entstanden? Durch Synergie von zwei unterschiedlichen Vergangenheiten, die wir noch einmal, nur kurz, skizzieren wollen:
Die fünf Räume und ihre Themen im Schnelldurchlauf
Zu Anbeginn unseres Seins sind wir in einem kleinen Raum geborgen, in dem wir beschützt und genährt werden. Dann sind wir draußen und in den Armen eines anderen: ein anderes Geborgensein mit einem anderen, erweiterten
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