Die Logik des Verruecktseins
lokalisierte Gefahr gebannt ist oder erkannt wird, dass gar keine Gefahr vorgelegen hat und Fehlalarm ausgelöst worden war. Beruhigung bedeutet in unserem Kontext die Beleuchtung aller Bühnen und zutreffende Identifizierung der Bühnenthemen durch die Person nach Entwarnung.
Nachdem wir die jeweils ortstypisch gestaffelten Raumbühnen nun kennen, wollen wir nach dieser vertikalen Erkundung im Raum eine horizontale anschließen. Sehen wir uns dazu eine Raumbühne ganz genau an. Beschäftigen wir uns mit ihrem speziellen Inhalt und wie dieser wiederum in verschiedenen Variationen in Erscheinung tritt. Die dabei gewonnenen Einsichten übertragen wir dann als gewonnene Regeln auf alle anderen Raumbühnen. Dann werden wir in den folgenden Kapiteln zwanglos die wichtigsten psychiatrischen Krankheitsbilder in ihrer Leitsymptomatik den verschiedenen Raumbühnen zuordnen. Wiederum werden uns klinische Fallbeispiele behilflich sein, die theoretischen Überlegungen auch zu belegen.
Die Angst vor dem Schwarm
Die Bühnensituation, mit der wir uns beschäftigen wollen, ist die zweite Außenraumbühne mit ihren belebten Objekten: kleine, im Schwarm auftretende Tiere, die sich rasch nähern und der Person gefährlich nahe kommen können. Welche Funktion und welche pathologischen Variationen findet man?
Die Vorstellung, sich in eine Situation zu begeben, in der man umringt von Kleintieren wie Skorpionen, Vogelspinnen, Schlangen oder Ratten ausharren muss, ist wohl für die allermeisten Menschen schwer erträglich. Die Angst vor kleinen belebten Objekten, die sich schnell bewegen können und in Schwärmen auftreten, muss nicht erlernt werden. Sie liegt als rasch konditionierbare Angst in uns bereit. Auch wenn wir in unserer heutigen Lebensform in den technisch
dominierten Ländern des Westens eigentlich gar keinen Kontakt mehr zu solchen Situationen haben, begleitete uns diese Gefahr sicherlich über viele Millionen Jahre während unserer evolutionären Entwicklung. Einfach unbekümmert dazusitzen, während sich kleine Tiere auf einen zubewegen, wäre sicherlich eine gefährliche Alternative zur panischen Flucht vor solchen Tieren gewesen. Der Angriff des Schwarms durch unter Umständen giftige oder aggressiv zubeißende Tiere schafft eine gefährliche Unübersichtlichkeit, die auf jeden Fall gemieden werden musste. Deshalb verankerten sich über die beschriebenen evolutionären Mechanismen Vermeidungsimperative in uns, die mit Hilfe der Angst eine solche Dringlichkeit Richtung Flucht vermitteln, dass niemand sich der Situation und ihrem Bann entziehen kann. Dies ist die Normalfunktion der Repräsentanz der zweiten Außenraumbühne mit ihren belebten Objekten.
Kleintierphobien
Besteht aus noch näher zu erläuternden Gründen eine stärkere Vorängstigung für die zweite Außenraumbühne, wird bereits Angstalarm durch lebende Objekte ausgelöst, die dem eigentlichen giftigen und wirklich gefährlichen Sorgeobjekt ähnlich, mit diesem aber nicht identisch sind. Dadurch sind die sogenannten Kleintierphobien verständlich. Die betroffenen Menschen erleben z.B. eine sie in den Bann ziehende Angst nicht nur beim Anblick von real gefährlichen Spinnen, sondern bereits bei harmlosen Kleininsekten wie Weberknechten. Diese gehören zwar zu den Spinnentieren, besitzen aber weder Spinn- noch Giftdrüsen. Sie ernähren sich von mikroskopisch kleinen Gliederfüßlern, übertragen keine Krankheiten auf den Menschen und sind demnach vollkommen ungefährlich. Selbst das kognitive Wissen um diese Tatsachen reicht bei vielen Menschen nicht aus, die beim Anblick solcher Tiere auftretende zweite Außenraumbühnenangst erfolgreich zu unterdrücken. Man hält einen unnötigen Sicherheitsabstand ein und ekelt sich vor direkter Berührung. Ganz so, als sei der Weberknecht genauso gefährlich wie eine wirklich giftige
Spinne. Das Objekt Weberknecht wird zwar optisch korrekt identifiziert, es wird aber gleichzeitig aus dem zweiten Außenraumweltverständnis heraus projektiv mit Attributen der Gefährlichkeit belegt, die das Objekt selbst gar nicht besitzt. Die evolutionär erwachsene Bühnenthematik wird aufgrund der überhöhten Angst der Person an das Objekt herangetragen und diesem angeheftet. Es findet keine hundertprozentig zutreffende Bedeutungsidentifizierung mehr statt, das gesehene und erlebte Objekt besteht vielmehr aus einer Mischung von zutreffender Identifizierung und nicht zutreffender projektiver Fehlidentifizierung. Es besteht eine
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