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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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Weltbezug. Da greifen wir mit den Händen und dem Mund nach der Welt, die, ähnlich wie im Innen, zunächst aus Biomasse besteht, auf deren Anwesenheit wir existentiell angewiesen sind und die von sich selbst etwas gibt, um uns psychisch wie somatisch zu stillen. Sprachwellen stranden zu uns herüber, die wir nicht verstehen, deren Wellenmelodie wir aber als angenehm oder unangenehm empfinden. Wir berühren die Welt und sie berührt uns. Wir können kaum etwas farblich sehen, noch nicht wirklich differenzieren, aber dass sich da etwas bewegt und dass das da ein Gesicht ist, das mich interessiert, das wissen wir. Ganz eins sein mit dem anderen und doch bei sich bleibend sein, ist das hier zu erreichende Raumthemenziel. Damit dies gelingt, brauchen wir Erfahrungen. Vom ersten Moment im Außen an nehmen wir Bezug zur Welt und sammeln Eindrücke von ihr. Die Ergänzer helfen uns dabei, dass wir uns erst dann den jeweiligen Teilaspekten der Welt zuwenden, wenn wir auch bereit und somit reif für sie sind. Irritationen in diesem ersten Raum führen zu einer mangelnden ersten Näheerfahrung mit der Folge von extremen, unvereinbaren Verschmelzungs- und gleichzeitigen Separationswünschen in Beziehungen. Dies wird im späteren, erwachsenen Lebensverlauf virulent, wenn Beziehungen gänzlich gemieden werden müssen, um nicht seelisch aus dem Gleichgewicht zu geraten. Manche Menschen gehen keine engen Beziehungen ein, da ansonsten ihre unvereinbare Beziehungspolarität aufbricht und sie im Intimfeld mit einem anderen zwischen Isolationswunsch und Verschmelzungsbegehren unerträglich hin und her schwanken. Sie können nicht bei sich bleiben und einem anderen angehören. In der Fachsprache bezeichnet man solche Menschen als schizoid. Noch dringlicher wird das Problem im psychotischen Erleben, wie wir weiter unten noch genauer sehen werden.
    Dieser erste Raum wird im folgenden Raum erweitert um eine andere Person, dem zweiten Ergänzer. Er geht anders mit uns um, er
verhält sich zu uns und hat ein Verhältnis mit dem anderen Ergänzer. Wir lernen in diesem Dreiecksverhältnis vor allem erstmalig konsequent Bedürfnisaufschübe zu ertragen. Warten, bis man dran ist, warten, bis man den Stuhl und den Urin an geeigneter Stelle absetzen kann, warten, bis man seine Liebe jemandem geben kann, warten, bis man sie selbst bekommt, warten, bis Verärgerungsstau abebbt. War der Charakter des Daseins im vorangegangenen Raum noch olympisch nach dem Motto »Dabei sein ist alles und dafür bekommt man eine Goldmedaille«, so ist hier bereits der Wettbewerbscharakter späterer Verhältnisse angedeutet. Wer bekommt mehr Aufmerksamkeit für was? Was muss ich tun, um gesehen zu werden? Was bin ich dem anderen wert ? Das Raumthema ist hier die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Störungen führen zu leicht irritierbarem oder dauerhaft irritiertem Wirksamkeitserleben in sozialen Bezügen.
    Im nächsten Raum dann wird dies verschärft eingespielt. Dort finden wir die anderen, die als Gruppe erkennbar sind. Auch Menschen, die mit uns verwandt sind, aber nicht die gleiche Fürsorge aufwenden wie die primären Ergänzer, beispielsweise Großmütter, Onkeln, Tanten und deren Kinder. Vor allem der Zwang, sich im Konkurrenzunternehmen »soziales Miteinander« zu behaupten, ist hier verschärft. Man muss sich zeigen, darstellen, nehmen, geben, zurückfordern, verschenken, zurücknehmen. Dafür erhält man Aufmerksamkeit, da jeder jeden in Augenschein nimmt und jeder über jeden spricht. Hier kristallisiert sich etwas aus, das uns lebenslänglich begleitet. Eine innerliche Richtschnur, ein Gradmesser, der uns darüber informiert, wo wir in der Gruppe stehen: Gemeint ist das Selbstwertgefühl. Unser Selbstwertgefühl ist der Versuch des im Geheimen und unbewusst, dafür ganzheitlich analysierenden Gehirns den bewussten Teil unserer cerebralen Informationsverarbeitung darüber zu informieren, wie angesehen wir in der Gruppe wohl sind und welche Strategie uns im Gruppengeschehen weiterhelfen könnte. Es ist eine Mischung aus kognitiven und emotionalen Selbst- und Weltinterpretationen, denen man sich nur schwer entziehen kann und die uns, ähnlich wie ein Gleis, die soziale Fahrtrichtung vorgeben. Sollen wir uns eher passiv abwartend verhalten und uns selbst nicht zu viel
zutrauen, oder sollen wir eher aktiv auffallend auf uns aufmerksam machen, getragen von einem großen Selbstwertgefühl? Welches Verhalten das richtige ist, übermittelt uns das Seelenlabyrinth

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