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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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Entängstigung, wenn die Angst auslösenden Umstände bewältigt worden sind. Damit einhergehend wird das Binnenvolumen des Menschen bedarfsangepasst reduziert und anschließend wieder auforganisiert. Gelingt die allmählich vonstatten gehende Weltaneignung in einem bestimmten Raum mit seinen Inhalten, aus welchen Gründen auch immer, nur ausreichend, wirft dies Schatten auf die folgende Raumaneignung mit seinen Themen und ihren Herausforderungen. Es findet keine ganz erfüllte und geglückte Raumeroberung statt, die Raumthemen sind für die Person mehr Mühsal und Anstrengung statt Bereicherung und Erfüllung.
Steckengeblieben im Evolutionsaufzug
    Die psychiatrischen Erkrankungen sind Ausdruck einer in ihrer möglichen Dynamik und Treffsicherheit gestörten Seelenlabyrinthbenutzung. Eine bestimmte Außen- oder die Innenweltbühne bleibt überrepräsentiert und zwingt die ganze Person aufgrund einer nicht enden könnenden Fehlalarmierung anhaltend in ihr Themenfeld. Ist die Gefahr realpräsent, ist eine Konzentration des Seelenlabyrinths auf eine ganz bestimmte Teilfunktion seiner Möglichkeiten notwendig und richtig, um die Gefahr zu erkennen, einzukreisen und schließlich zu bannen.
    In der Gefahr versteht man so viel von der Welt, wie es braucht, um die Gefahr zu überwinden. Psychopathologie ist in weiten Aspekten nichts anderes als das unnötige Steckenbleiben in einer gesunden, lösungsorientierten Normalfunktion. Dies ist der Zusammenhang zwischen unserer seelischen Funktionsweise im sogenannten Gesunden und den psychopathologischen Phänomenen. Psychopathologie ist keine Parallelwelt zur Normalfunktion
im Gesunden. Sie folgt in ihrer kausalen Entstehung, ihrem Weltbezug und ihrem Weltaneignungsversuch vielmehr in uns bereitliegenden seelenlabyrinthischen Bahnungswegen, die der Gesunde ebenfalls permanent benutzt, aber eben auch wieder verlassen und dann weiterreisen kann. Psychisch krank sein ist kein Verrücktsein in einen anderen Sinnraum außerhalb der menschlichen Normalität. Vielmehr handelt es sich um eine Verdichtung dessen, was wir als Menschen sind und was uns ausmacht. Die befremdlichen und manchmal verstörenden psychiatrischen Phänomene sind Verdichtungszitate der anthropologischen Matrix, die uns alle formt und prägt.

Das Strukturmodell
    Demnach handelt es sich bei dieser seltsamen, vor unseren Erkenntnisaugen schwebenden Struktur offensichtlich gar nicht um ein Labyrinth. Es erscheint nur demjenigen rätselhaft labyrinthisch, der nicht nach seinen Strukturmerkmalen fragt und sich mit oberflächlichen Reisebeschreibungen und pathologischen Zwischenaufenthalten mancher Reisender zufriedengibt. Wer aber darüber hinausdenkt und -fragt und sich evolutionärer Grundkenntnisse bedient, der erkennt einen wohlgeordneten Aufbau, bei dem in allen Teilbereichen gleiche Strukturregeln herrschen. Evolutionäre Weltbezugsräume und individuelle Weltaneignungsräume verschmelzen im Seelenlabyrinth zu Weltbühnen. Die meisten dieser Bühnen liegen außen und eine weitere in uns. Mit jeder Außenbühne wird die Welt komplizierter und unübersichtlicher und wir entfernen uns mit jeder Bühnenaneignung immer weiter von unseren Ergänzern, bis wir unter Umständen selbst welche werden.
    Existenziell bedrohliche Gefahren lauern auf jeder dieser Bühnen. Zu ihrer Erkennung und Abwehr besitzt jede Raumbühne ein korrespondierendes Binnenvolumen der Person, durch welches rasch und suffizient gehandelt werden kann. Bei voller Entfaltung des Binnenvolumens sind wir ausreichend entängstigt, um die Welt weitgehend so wahrzunehmen, wie sie ist, und um nicht alarmiert zu werden.
Aber auch wenn unmittelbar keine Gefahr zu erkennen ist, führt die evolutionär gewachsene Binnenvolumenkapazität dazu, dass wir vom Leben mehr wissen, als uns emotional guttut. Wir sind das einzige Tier, das sich fragen kann und muss: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Was soll ich glauben? Was kann ich hoffen? Was ist der Sinn des Lebens? Wann werde ich sterben?
    Darauf gibt uns das Seelenlabyrinth keine Antwort, Evolution taugt nicht zur Ableitung ethischer, rechtlicher oder sozialmoralischer Prinzipien, sie erklärt aber, wie wir so weit kommen konnten, dass wir diese Fragen stellen können. Und sie erklärt, warum diese Fragen in manchen psychopathologischen Zustandsbildern überrepräsentiert sind, sodass vor lauter Fragen kaum noch das Leben und der mögliche Lebensgenuss gelingen.
     
    Natürlich gibt es das Seelenlabyrinth gar nicht.

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