Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
Vom Netzwerk:
anerkennt und im wahrsten Sinne des Wortes das Raumfeld räumt. Dazu signalisiert er seine Unterwerfung gegenüber dem Sieger, und der Kampf wird schließlich von beiden Seiten eingestellt.
    Menschen und alle anderen höheren Primaten sind in ihren kognitiven und emotionalen Kapazitäten durch den evolutionären Prozess aufgeschäumte Zwergtupaja-Rivalen, die das Glück und das Unglück teilen, aufeinander angewiesen zu sein und sich deshalb nach der Auseinandersetzung nicht trennen können. Das Feld kann nicht durch den Verlierer geräumt werden, er ist nicht in der Lage, sich ein neues, eigenes Revier zu suchen. Mein Revier ist auf Gedeih und Verderben auch dein Revier, aber wie können wir diesen Raum teilen, der dir und mir gehört, in dem aber einer von uns beiden den Vorrang genießt?
    Die Antwort auf diese Frage, die im evolutionären Prozess gefunden wurde, sieht für alle sozial lebenden und intelligenten Tiere gleich aus: Die in horizontaler Konfliktspannung lebende Gruppe bildet vertikale Rangfolgen aus, welche die horizontale Spannung entlasten. Die Rangfolgen werden erarbeitet und durch Gruppendynamik laufend in Frage gestellt. Diese Hierarchisierung der Gruppe ist dabei eine evolutionär gewonnene Möglichkeit, unnötigem Stress zu entgehen, da dann für eine gewisse Zeitspanne klar ist, wer den Vorzug hat. Den Vorzug in der Nahrungsreihenfolge, im Zugang zu den Weibchen, zu den besten Nistplätzen und bei vielem mehr. Aber es ist eben ein dynamisches, labiles Gleichgewicht. Die unten Stehenden drängen nach oben, und die oben Stehenden wollen ihre
Vorteilsplätze nicht räumen. Das Kondensat, zu dem sich die soziale Interaktion in jedem Einzelnen destilliert und das Zuflüsse erhält aus Vorerfahrungen und aktuellen Ressourcen, ist das Selbstvertrauen. Das Selbstvertrauen besitzt eine starke Wechselwirkung mit dem Fremdvertrauen, also mit dem, was andere uns zutrauen. Ähnlich wie das Gruppengeschehen einer labil-stabilen Dynamik unterworfen ist, so muss das Selbstvertrauen eines Wesens, das in einem wechselhaft beweglichen sozialen Interaktionsraum navigiert, dynamische Beweglichkeit aufweisen.
    Der Entschluss, dynamisch expansiv aus sich heraus und in das Gruppengeschehen hineinzugehen oder sich lieber zurückgenommen zurückzuhalten, unterliegt der Steuerungszentrale namens Gehirn. Diese Steuerungszentrale lässt seinem bewussten Anteil über das aktuelle Selbstwertgefühl ein Berechnungskondensat zukommen, welches die Richtschnur für die jetzt angebrachte soziale Interaktion vorgibt. Denken, Fühlen und Handeln bilden dann eine aufeinander abgestimmte Trinität mit stimmiger Innen- und Außenwirkung. Im Ausdrucksverhalten, also mit Gestik, Körperhaltung und Mimik, wird in der sozialen Interaktion schließlich das innerliche Erleben zur Sprache gebracht. Dieser »Spracherwerb« ist im evolutionären Prozess in uns verankert worden, die Feinmodulation und ihre treffsichere Anwendung verdanken wir den Ergänzern. Das Ausdrücken dieser sozialen Sprache findet im sozialen Alltagsgeschäft laufend statt, ohne dass wir permanent über unsere Bewusstseinssteuermöglichkeit Einfluss darauf nehmen müssen. Permanent pendeln wir uns in sozialen Beziehungen, z.B. am Arbeitsplatz, mit Hilfe des Selbstwertgefühls in der horizontalen und vertikalen Konfliktspannung aus und tun dies meistens, ohne bewusste Entscheidungen zu treffen. So gesehen sprechen wir nicht über das Bewusstsein sozial handelnd mit anderen, ein »Es«, das Seelenlabyrinth, spricht in uns und aus uns heraus. Das Bewusstsein nickt die wichtigsten, bereits getroffenen Entscheidungen nur nachträglich ab, lebt aber auch hier in der Illusion, entschieden zu haben.
    Wie handeln wir in den mit anderen geteilten Raum üblicherweise hinein? Wie wir das tun, wird, wie so vieles andere von uns, besonders
deutlich, wenn wir die psychopathologisch bedingten Verhaltensweisen betrachten. Sie sind Verdeutlichungshandlungen von dem, was uns ausmacht.
Depression und Manie als Antworten in sozialer Kommunikation
    Bereits subdepressive Menschen beanspruchen wenig Raum für sich. Sie nehmen, wo sie stehen und gehen, kaum Platz ein. Ihre Körperhaltung ist gebeugt, als trügen sie eine schwere, unsichtbare Last. Sie bewegen sich langsam und spärlich. Ihre Füße setzen sie leise auf, als befürchteten sie, zu viel Lärm zu machen und damit unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das soziale Miteinander erscheint nicht wie eine Herausforderung, sondern

Weitere Kostenlose Bücher