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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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verbunden ist und ein dramatisches Empathiegefälle folgt. Das Schicksal der Nichtangeschlossenen ist dann entweder gleichgültig oder wird sogar zum Hauptziel destruktiver Angriffe.
    Individuen, die in schicksalhafter Weise in Serie geschaltet sind, geraten allerdings untereinander unausweichlich in Konfliktspannung. Diese Konfliktspannungen müssen durch vorhersehbares Verhalten der einzelnen Gruppenmitglieder aufgelöst werden, damit sich nicht permanent ein Streit-Stress entlädt, der den Einzelnen wiederum psychosomatisch überlastet. Die Evolution hat in uns bereits während unserer Primatenzeit entwickelte und immer mehr verfeinerte Reaktionsmodule auf diese Herausforderung hinterlegt, die auf das Engste mit unserer sozialen Navigationsfähigkeit verknüpft sind. Dass diese Reaktionsmodule ebenfalls auf das Engste mit psychopathologischen Phänomenen neu verknüpft sind und verknüpft sein müssen, ist eines unserer Hauptthemen. Wir wissen ja bereits, dass evolutionär erworbene psychosomatopsychische Reaktionsmodule »heiß laufen« können und unangemessen überschießend das Seelenlabyrinth in seiner Entfaltungsfähigkeit behindernd können. Geschieht dies, wird das, was dann zu beobachten ist, von der Psychiatrie etwas ratlos und vereinfachend als »Krankheit« bezeichnet.
Kein Evolutionsreduktionismus
    Die psychopathologischen Phänomene, mit denen wir uns in der Folge beschäftigen wollen, zählt man zu den affektiven Störungen. Diese umfassen die Depression, die Manie und die bipolaren Störungen, welche bis vor wenigen Jahren als manisch-depressive Erkrankungen bezeichnet worden sind. Ein mögliches Grundfehlverständnis wollen wir hierbei von Anfang an beachten und beiseiteräumen. Evolutionäre
Modelle erklären nicht die gesamte psychopathologische Phänomenologie einer bestimmten Krankheit oder einer bestimmten Krankheitsgruppe. Es geht hier nicht um die evolutionären Wurzeln beispielsweise der klinischen Depression und all ihrer von der klassischen Psychiatrie aufgelisteten Symptome. Es geht »nur« um die evolutionären Wurzeln einer menschlichen Depressionspotenz. Es ist jetzt wohl auch klar, dass, wenn wir von evolutionären Wurzeln sprechen, wir dabei immer auch die lebensgeschichtlich erworbenen Zusatzinformationen mitdenken und diese für genauso wichtig erachten wie die evolutionär gewachsenen Gehirninformationen. Was in dieser Deutungsrichtung psychiatrischer Krankheitsbilder dargestellt werden soll, ist keine hoch reduktionistische, evolutionsbiologistische Sicht auf den Menschen. Diese engt für sich genommen den Blick zu sehr ein und wird dem Menschsein in seiner individuellen Ausprägung nicht gerecht. Es wird vielmehr angestrebt, eine evolutionäre Anthropologie aufzuzeigen, die die Individualität eines jeden Menschen wertschätzt und dem gemeinsamen evolutionären Erbe gleichzeitig und gleichberechtigt seine Bedeutung zubilligt. Aus dieser Synergie heraus wollen wir die affektiven Erkrankungen verständlich ableiten. Verständlich in ihrer Funktion, verständlich in ihrer Dysfunktion und verständlich in ihrer therapeutischen Erreichbarkeit. 81 Es ist allerdings in der Tat die Folge langwieriger evolutionärer Prozesse, dass wir in der Lage sind, lebensgeschichtlich hinzuzulernen. Die Evolution hat einen enormen Aufwand betrieben, unsere Hinhör- und Hinerlebnisfähigkeit gegenüber dem, was von außen an uns herangetragen wird, zu steigern, um sich daraus schließlich einen Sinnreim machen zu können. Dieser Sinnreim kann der Welt entsprechen, er tut es in manchen Fällen aber eben auch nicht.

Soziale Navigation in der Gruppe
    Wie das Altruistenbeispiel am Anfang des Kapitels aufzeigt, liegt die Depressionspotenz in jedem Menschen bereit und dient dem »Gesunden« dazu, in der sozialen Navigation in bestimmten Konstellationen und
unter bestimmten Auslösern besser, sprich ökonomischer zurechtzukommen. Oberflächlich zusammengefasst dient die Depressionspotenz dazu, den anderen und sich selbst möglichst glaubhaft zu versichern, dass man kein Konfliktpotential mehr aufbringt, den anderen im Wege zu stehen. Es ist die evolutionär-zeitliche Verlängerung des Unterwerfens der Zwergtupaja-ähnlichen Primatenprototypen. Sie erinnern sich: Die einzelgängerisch lebenden und ihr Revier verteidigenden Zwergtupajas kämpfen miteinander, wenn ein anderes Männchen in das eigene Revier einzudringen droht. Dieser Kampf wird so lange geführt, bis einer der beiden Rivalen seine Niederlage

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