Die Logik des Verruecktseins
und kostspieligeren Mitteln. Wie
wir sehen werden, ist das, was der Depression zugrundeliegt, ebenfalls ein Bergungsversuch im Schoße anderer. Eine evolutionär gewachsene, in jedem Menschen abrufbereit daliegende Soziokompetenz, welche die anderen, mit denen ich den Gruppenraum teile, in bestimmten Situationen veranlassen soll, mich zu bergen. Wie kann das erreicht werden? Sehen wir uns eine typische depressionsauslösende Konstellation an, wie sie mir bei meiner Arbeit häufig begegnet.
Menschen sind ihrer evolutionären Veranlagung nach Raumteiler. Wir leben miteinander in geteilten Erlebnis- und Ereignisräumen. Wir teilen Räume mit anderen, und wir teilen Räume, in dem sich andere befinden, in einen Mein-Raum und in einen Euer-Raum. Sie, die anderen, sind dann ein Teil unseres Lebens oder auch nicht. Dass Menschen zusammenleben und diese Eingrenzungs- und Ausgrenzungsziehungen zwar im Äußeren verhandelt werden, diese aber schließlich im Inneren eines jeden unsichtbar und letztlich undurchschaubar bleiben, macht das Zusammensein heikel. Demnach sind Menschen, die Postprimaten, in ihrer Veranlagung Innenraumausstatter für andere, wobei die potentielle Bereitstellungsfülle für andere von Mensch zu Mensch abweicht und von minimalistisch nüchtern bis zu barock überladen reichen kann.
Depression als evolutionäre Lösungsstrategie
Manche Menschen investieren ihr Ausstattungspotential gänzlich in die Gaststube, in der sie andere empfangen, und leben mit ihrem Ich-Kern in einem einsamen, dunkel-freudlosen Hinterzimmer. Heimlich wird eine innere Bilanzierung durchgeführt, bei der die Diskrepanz zwischen Einnahmen und Ausgaben thematisiert wird. Als Beruf wird dann häufig eine sozial karitative Tätigkeit gesucht: Bei Ärzten, Kranken- und Altenpflegepersonal scheint dieser Persönlichkeitszug statistisch überrepräsentiert. Oft sind es Menschen, die in ihrem Kern nicht glauben können, dass sie anderen nicht immer automatisch zur Last fallen, wenn sie bedürftig sind, da sie selbst zu
Beginn im Love boat mehr geduldet als willkommen waren und sie diese erste Miteinanderatmosphäre in die späteren Lebensbezüge hineinprojizieren. Die Serienschaltung mit anderen besitzt dann subjektiv Einbahnstraßenqualitäten: Es findet ein emotionaler Transfer nur in eine Richtung statt, immer ausschließlich hin zu den anderen.
Ändern sich plötzlich die Lebensumstände oder verringern sich aufgrund des einsetzenden Alterns die körperlichen und seelischen Kräfte solcher altruistisch konfigurierten Menschen, erscheint ihnen ein Weitermachen in den alten Lebensgewohnheiten auf einmal fraglich. Die vorher auch vor sich selbst verheimlicht stattfindende Kontoführung »Wie viel heben andere bei mir ab und wie viel zahlen andere auf mein emotionales Konto ein?« bricht auf und wird in ihrer Diskrepanz nun schmerzlich realisiert. Aber erst bei der nun einsetzenden, krisenbedingten Loslösung aus der Einbahnstraßenserienschaltung wird diese Bilanzierung öffentlich gemacht und die Rechnung nach außen präsentiert, deren Abschlusssatz zusammengefasst lauten könnte: »Ich finde keine Kraft mehr für euch.«
Gelingt der Neustart nach der Notbremsung?
Eine Lebenskrise setzt dann ein, wenn der altruistische Bogen überspannt wurde und die lebenslängliche Verweigerung eigener Begierden nicht mehr trägt. Gleichzeitig erscheint die Konfrontation mit der eigenen Bedürftigkeit nicht gut im Selbstbild integrierbar, der ewig helfende Superhelfer definiert sich selbst ja als unbedürftig und saugt daraus seinen narzisstischen Nektar. Ein aktives Umsteuern aus dem Bewusstsein heraus ist aufgrund der Unvereinbarkeit von Geben und Nehmen bei mangelnder Dynamik der Persönlichkeitsstruktur allerdings nicht möglich. Der Lebenszug ist auf ein Abstellgleis geraten, und es droht bei voller Fahrt die eigene Verunglückung durch die permanente Arbeit am Glück der anderen. Schließlich beendet das ganzheitlich »denkende« Seelenlabyrinth die psychische Notlage und zieht die Notbremse: Es schaltet kompromisshaft auf ein Binnenvolumen herunter, von dem aus der betroffene Mensch die Zugänge zu seinen
eigenen Kräften und Möglichkeiten nicht mehr erfolgreich ansteuern kann, wodurch die zerstörerische Selbstausbeutung verhindert wird. Motivation, Freude, Antrieb und Selbstsicherheit gehen verloren. Der Lebenszug verliert an Fahrt und bleibt schließlich stehen. Seine Verunglückung wurde verhindert, aber derjenige, der auf freier
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