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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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manischen Menschen, die die Serienschaltung verloren haben, ist der Verlust vermeintlich gleichgültig, die Fremdbeurteilung erreicht sie nicht mehr und wird zurückgewiesen. Ikarus hört die warnenden Rufe seines Vaters nicht mehr und steigt höher und höher, bis ihm schließlich der Sog des »Noch mehr« zum Verhängnis wird.
    Menschen sind so gesehen Aeronauten der sozialen Lüfte. Ein gelungener Flug ist dabei immer ein Fesselflug, da die Höhenkontrolle und die Verbindung zu den anderen durch den Erhalt der Serienschaltung gesichert bleiben. 83 Gesunde brauchen deshalb stets die anderen, um sich selbst zu verstehen und ihr soziales Verhalten gegebenenfalls stimmig zu korrigieren. Die Augen der anderen sind dabei der Selbsterkenntnisspiegel, in den wir lebenslänglich blicken. Dem Ergänzer-Augenspiegel, der initial irgendwo zwischen äußerst matt und glänzend reflektieren kann, kommt dabei eine bahnende Funktion zu, die uns lebenslänglich prägt.
    Frei von Serienschaltung, vom Augenspiegel der anderen, steckt der depressive Mensch all seine Kraft in den Ausdruck seiner subjektiv erlebten Kraftleere, um die anderen und deren Serienschaltungsbemühungen
zu aktivieren. Der manische Mensch hingegen steckt seine letzte Kraftbemühung in den Ausdruck seiner vermeintlichen Kraftfülle. Er stürzt sich in das Außen, klammert sich förmlich an dieses, da er eigentlich fürchtet, nicht mehr gesehen und übersehen zu werden. Er wehrt seine vor sich selbst verheimlichte Kleinheit ab, indem er sich selbst zur Grandiosität überredet. Der korrigierende Augenspiegel der anderen wird ersetzt durch eine selbstgenügsame Selbstbeurteilung. Ähnlich wie die böse Königin im Märchen »Schneewittchen« in den Spiegel blickend nur sich allein fragt, wer die Schönste im ganzen Land sei, richtet der Maniker die Frage, was von ihm zu halten sei, nur noch an sich selbst. Die Verzweiflungshoffnung, die dahinter steht, geht davon aus, dass die Grandiositätsbeurteilung ansteckend wirkt und dadurch Serienschaltung wiedererlangt werden kann.
     
    Durchlaufen wir wieder, diesmal von innen nach außen, die verschiedenen Raumbühnen, auf denen wir uns alle bewegen und denen unsere Aufmerksamkeit gilt, und betrachten wir, wie sich das manische Erleben und Handeln auf ihnen ausbreitet und damit einen Extrempol menschlichen Seins markiert.
Innenraumbühne und ihre Maniepotenz
    Ist im Außen eine überschwere und anstrengende Aufgabe zu bewältigen, dann macht es keinen Sinn, sensibel auf die eigenen Kraftreserven und die Ansprüche des Körpers nach Erholung zu achten. Da muss erfolgreich ignoriert werden, dass der eigene Körper eigentlich nicht ignoriert werden kann. Das Vitalgefühl muss aufschäumen und ein großes Volumen einnehmen, selbst wenn diese Aufschäumung in Wirklichkeit fragil und anfällig ist. Zärtliche Selbstbeobachtung lenkt dann nur von der zu bewältigenden Aufgabe unnötig ab.
    Wir dürfen nicht vergessen, dass die aktuelle Lebensweise des modernen Menschen in wohltemperierten Versicherungs- und Rückversicherungsräumen stattfindet, in denen durch die Möglichkeit der
Technik ein Verwöhnaroma erzeugt werden kann, das in der evolutionären Entwicklung des Menschen zeitlich betrachtet einen Wimpernschlag einnimmt. Unsere hominiden Vorfahren hingegen mussten bis zur Sesshaftwerdung vor ca. 12.000 Jahren Entbehrungen auf sich nehmen, die uns heute wahrscheinlich unvorstellbar sind. Eine evolutionär mitgegebene energetische Überschussreserve, die im Bedarfsfall den Körper zu einer Nachbrennerleistung befähigt, hat in schwierigen Zeiten das Überleben gesichert und Höchstleistungen im Durchhalten ermöglicht. Maniepotenz ist das Anzapfen dieser evolutionär entstandenen Kraftreserve und Manie ist das Einschalten dieses Nachbrenners, obwohl die Startbahn weder durch die Umstände noch durch die anderen freigegeben wurde und kein Höhenflug stattfinden soll.
    Dem Depressiven ist der eigene Körper zu einer einzigen vielschichtigen Sorgenlast geworden, dem Maniker ist er die vermeintlich hyperbelastbare Leistungsbasis für seinen Aufschwung in die sozialen Lüfte. Der eigene Körper wird vom Maniker nicht mehr bekümmert, er wird stattdessen selbstschädigend ausgebeutet und aufgrund des permanenten Antriebsüberschusses über den Rand der Erschöpfung getrieben. Die Schmerzwahrnehmung wird abgeschaltet. Dass z.B. aufgrund des tage- und nächtelangen Herumlaufens ohne Pause, manchmal barfuß, die Füße zerschunden

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