Die Logik des Verruecktseins
oder es wird totale Energie in einem Erregungssturm mobilisiert, um der Vernichtung durch das ewige Eingesperrtsein zu entgehen.
Das Binnenvolumen: Wenn die Angst wächst und die Welt schrumpft
Wir sind bei unseren Betrachtungen nun an einem ganz entscheidenden Punkt angelangt. Wir sehen: Das menschliche Sein, der umgebende Raum und die mobilisierte Angst sind miteinander verwoben. Zu einer bestimmten, von unserem Gehirn als bedeutsam erlebten Raumgestaltung und -distanz gehören ein bestimmter Funktionszustand unseres Organismus, also unseres Körpers und vor allem unseres zentralen Nervensystems, sowie ein ganz bestimmtes Angstvolumen. Alle drei sind aufeinander abgestimmt. Den dynamisch beweglichen Funktionszustand des menschlichen Nervensystems, der unterschiedliche Ausdehnungen und Weltverständnisausmaße annehmen kann, nenne ich hier und in der Folge das »Binnenvolumen«. Die Angst, die der Fötus mobilisieren muss, damit er motiviert ist, sich aktiv aus seinem Paradiesgefängnis herauszuwühlen, konzentriert ihn erfolgreich auf den Umgebungsraum Uterus und Geburtskanal und hilft ihm, die Gefahr des Steckenbleibens zu überwinden. Zur Symptombildung der Katatonie kommt es, wenn in einem längst erwachsenen Menschen aus welchen Gründen auch immer eine solch enorme Angst mobilisiert wird, dass deren Ausmaß der ersten erlebten Todesangst gleicht . Das dynamische Binnenvolumen des betroffenen Menschen verringert seine Größe angstbedingt auf ein sehr kleines Ausmaß und die dann vom Gehirn erlebte Umweltrelation gleicht der uterinen Gefahrensituation in der Austreibungsphase der Schwangerschaft. Diese Gefahr kann nur bewältigt werden durch totale Verweigerung, sichtbar in der Unbeweglichkeit der Patienten oder durch totalen Bewegungsdrang gegen das feindliche Außen.
Wollte man einen Lehr- und Lernsatz kreieren, könnte man sagen: Je größer die Angst, desto kleiner das Binnenvolumen und desto näher der erlebte Raum . Diesem Phänomen werden wir immer wieder begegnen.
Wir benötigen auch bei der katatonen Schizophrenie keine krankmachenden Gene, die uns erklären, warum Menschen den zutiefst existentiellen Erlebnissen der Katatonie ausgeliefert sein können.
Wir brauchen nur einen evolutionären Entwicklungsschritt, seine Notwendigkeit und seine Folgen für unser Sein verstehen, in diesem Fall die »Erfindung« des Uterus mit der resultierenden Bedeutung für die Individualentwicklung eines Menschen. Dann erkennen wir in einer neuen optischen Seelentiefenschärfe, falls wir uns unbeeindruckt zeigen von den für real gehaltenen Krankheitskonzepten der Lehrbücher und Ausbildungsseminare, dass wir alle notgedrungen schizophrene Wanderer waren, als wir in der ersten Trennungssituation unseres Lebens durch das erste Tor hindurchmussten.
Die großartige, konkret gelebte Liebeserklärung »Wo du nicht bist, kann ich nicht sein!« ist nach 40 Wochen Tragzeit zu Ende. In der normalpsychologischen Entwicklung gibt es keine Rückkehr, denn danach gilt für den Rest des Lebens das Beschwerliche: »Wo finde ich dein Du in dieser weiten Welt?«
Wer bei anstehenden oder aufgezwungenen Schwellensituationen des Lebens mit seinen Trennungskompetenzen angstdurchflutet überfordert ist, der schwebt unter Umständen wieder als stummer Pilger vor dem ersten Tor.
4. Reisen im Raum
Psychopathologische Phänomene als Ausdruck eines fehlalarmierten Gehirns
Hinter dem ersten Tor erwartet uns eine Welt, die zu weit und zu bedrohlich ist, um sich ungeschützt in ihr bewegen zu können. Es gibt mehr Gefahren, als man alleine abwehren kann, es gibt mehr, als sich erfolgreich verleugnen oder verdrängen ließe.
Deshalb befinden wir uns nachgeburtlich nicht im unendlichen Raum, sondern in einem erweiterten zweiten Raum des Seelenlabyrinths, den ein anderer für uns bildet. Die Reminiszenzen des ersten Raumbedürfnisses werden wir allerdings nie mehr los. Der Mensch ist dazu veranlagt und verurteilt, Sein-Raum-Verhältnisse herzustellen und sich in ihnen einzurichten. Das primäre Primatenproblem, dem wir auch als Kulturmenschen verpflichtet bleiben, besteht darin, dass wir dazu andere Vertreter unserer Art benötigen.
Im zweiten Raum ist die Anwesenheit eines empfangsbereiten Anderen durch das selbstverständliche Interesse dieses, dann als Ergänzer fungierenden Mitbewohners, gewiss. Die Dramatik des Lebens besteht auch darin, dass jene vom anderen selbstauferlegte Selbstverständlichkeit, für uns da zu sein, im späteren
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