Die Logik des Verruecktseins
Untersuchung des Seelenlabyrinths immer besser kennen und verstehen lernen.
Nun wollen wir aber zunächst versuchen, an unserem Beispiel die Grundstruktur und damit die Grundidee noch besser zu erfassen. Zurück zu der obigen Frage: Können wir noch andere Psychopathologien zugehörig beim ersten Sein-Raum einordnen?
Wenn unsere Grundannahme stimmt, dass sich ein seelisches Periodensystem erstellen lässt, in dem die bisher in der aktuellen Psychiatrielehre bezugslos nebeneinander stehenden Psychopathologien neu geordnet und übersichtlich sortiert werden können, dann müssten wir fündig werden. Wir müssten Binnenvolumenreduktionen finden, die sich um das gleiche niedrige bzw. frühe Binnenniveau herum einpendeln, aber aus ganz unterschiedlichen Gründen auf dieses »absinken«. Dass dies so ist, wollen wir anhand eines authentischen Falles, wie er mir bei meiner psychiatrischen Arbeit begegnet ist, kennenlernen. 12
Der Fall Naseberg
Ein 40-jähriger Patient wird mit dem Rettungswagen in die zentrale Notaufnahme des Krankenhauses gebracht. Passanten hatten den Mann regungslos und nicht ansprechbar auf einem Bürgersteig liegend aufgefunden und besorgt den Rettungsdienst der Feuerwehr alarmiert. Als der Patient im Krankenhaus ankommt, ist er weiterhin nicht ansprechbar. Gelegentlich öffnet er die Augen, reagiert aber weder auf Ansprache noch auf milde Schmerzreize. Die Kreislaufparameter und die Atmung sind durchgehend stabil. Die internistischen Kollegen vermuten eine Intoxikation, also eine Vergiftung, und veranlassen einen Alkoholtest sowie ein Drogenscreening. Beide
zeigen negative Befunde. Der konsiliarisch bemühte Neurologe führt eine neurologische Untersuchung durch. Der Patient zeigt schlaffe Lähmungen an allen Extremitäten. Pathologische Reflexe, die auf eine zentrale Schädigung des Nervensystems, also auf einen Defekt im Gehirn oder im Rückenmark, hinweisen könnten, fehlen. Mit Verdacht auf das Vorliegen eines zu klärenden neurologischen Prozesses, der das klinische Bild des Patienten verursacht, wird eine Computertomografie des Schädels durchgeführt. Diese Untersuchung ergibt keinen Hinweis auf ein neurologisches Krankheitsbild. Der Zustand des Patienten bleibt allerdings unverändert.
Schließlich erfolgt eine Lumbalpunktion, bei der mit Hilfe einer Nadel im Lendenbereich der Wirbelsäule Liquorflüssigkeit aus dem Rückenmarkskanal gewonnen wird. Dies geschieht zum Ausschluss einer in der Hirnstammregion liegenden Subarachnoidalblutung, welche im Computertomogramm nicht sichtbar sein kann, sowie zum Ausschluss entzündlicher Prozesse des Nervensystems. Bei der durchaus unangenehmen Punktion zeigt der Patient erstmals eine Schmerzreaktion, allerdings nur sehr verhalten. Der Liquor ist von gesunder klarer Farbe, die detaillierte Auswertung des Liquorbefundes ebenfalls negativ. Mit dem Verdacht auf das Vorliegen eines postiktalen Zustandes, eine Art Dämmerzustand, der manchmal nach einem generalisierten Krampfanfall auftritt (wobei kein typischerweise dann auftretendes Einnässen, Einkoten oder ein Zungenbiss vorliegt), erfolgt die Verlegung des Patienten aus der zentralen Notaufnahme in die Neurologie. Da der Patient weiterhin keine Nahrung zu sich nimmt, wird eine Infusion gegeben. Das veranlasste EEG gibt keinen Hinweis auf ein abgelaufenes Krampfgeschehen.
Am nächsten Tag ist der Patient ansprechbar. Auf Anrede reagiert er mit Kopfbewegungen, beantwortet so durch Nicken oder Kopfschütteln einfache Fragen, bleibt weiterhin stumm. Auffällig ist ein Ansteigen des Blutdrucks und der Pulsfrequenz. Die Ganzkörperlähmung bildet sich allmählich etwas zurück. Mit der rechten Hand kann der Patient am dritten Tag des stationären Aufenthalts selbständig eine Tasse zum Mund führen. Auch das rechte Bein lässt sich aktiv etwas bewegen. Die linke Körperhälfte wird eigentümlich vernachlässigt.
Der Blutdruck steigt weiter an, ebenso der Puls, und der Patient wird etwas schweißig. Am vierten Tag ist er an der Bettkante mobilisiert und kann mit Unterstützung einige Schritte gehen. Endlich beginnt er leise und langsam zu sprechen. Sein Name ist Naseberg. Er erinnert sich, seine Wohnung verlassen zu haben, danach hat er einen Filmriss und die Erinnerung setzte erst am Vortage wieder ein. Warum er nicht habe sprechen können, kann er nicht angeben. Er beklagt einen diffusen Ganzkörperschmerz und erhält Schmerzmittel. Diese helfen wenig und es erfolgt eine Steigerung der
Weitere Kostenlose Bücher