Die Logik des Verruecktseins
wurde man aus dem Fahrstuhl gerettet, organisiert sich das Binnenvolumen, sich ausdehnend, wieder auf sein altes Funktionsniveau zurück. Irgendwann kann man sich dann auch wieder entängstigt mit der Steuererklärung beschäftigen, sie dann hoffentlich auch bald erledigen und dem Freund mit Rat und Tat emotional eingefühlt zur Seite stehen.
Schizophrenie: Bewältigungsversuch nach einer Fehlalarmierung
Binnenvolumen und beigeordneter Gefahrenhorizont sind erkennbar durch das Phänomen Angst miteinander verklebt. Was aber, wenn dieser Mechanismus eine Fehlfunktion aufweist? Beim schizophrenen Stupor wird ganz offensichtlich die beschriebene Sein-Raum-Gefahrensituation alarmiert und ausgelöst, ohne dass die Gefahrensituation tatsächlich konkret vorhanden ist. Können wir noch andere Psychopathologien zum ersten Sein-Raum zuordnen?
Wir werden gleich auf diese Frage zurückkommen. Werfen wir aber noch schnell einen Seitenblick auf die schon besprochenen psychopathologischen Phänomene. Wir haben gerade gesehen, dass der katatone Stupor für die Patienten eine Sein-Raum-Gefahrensituation simuliert, deren Notwendigkeit im Außen für andere so nicht erkennbar ist. Ist ein Mensch aufgrund seiner unzureichend stabilisierten seelischen Verfassung nicht in der Lage, einen bestimmten humanspezifischen Entwicklungsschritt mit einem erträglichen Maß an Ängstlichkeit durchzustehen (beispielsweise der Auszug aus dem Elternhaus, wie er in der Adoleszenz ansteht), vermehrt sich die Angst zu einer alles übersteigenden Vernichtungsangst. Das seelische Binnenvolumen des Betroffenen schnurrt zusammen, und der korrespondierende, eigentlich nicht existente Gefahrenhorizont wird von den Betroffenen »erfunden«. Es wird somit die Umweltgefahrensituation vom Nervensystem in die Welt projiziert und ihr unterstellt, die wesenhaft dem Binnenvolumen entspricht.
Noch einmal, denn dieser Punkt ist für unsere Untersuchung wichtig: Die übermächtige Angst des betroffenen Menschen zwingt das Binnenvolumen in eine Volumenreduktion, aus der heraus abgeleitet nur noch eine ganz bestimmte Umweltrelation, eine ganz bestimmte Gefahrenthematik möglich ist, unabhängig davon, ob die Gefahr tatsächlich vorhanden ist. Sie wird »gesehen« und als real existent erlebt. Gleich einem Filmprojektor projiziert das reduzierte Binnenvolumen die Gefahr in den Welthintergrund. Löst sich der Alarm auslösende Anlass in Wohlgefallen auf, lässt die Angst nach und löst sich schließlich auf, und die eben noch mit aller Dringlichkeit beschworene Gefahrenthematik kann innerlich verlassen werden. Das Gehirn blickt dann mit anderen Augen in die Welt, die jetzt wieder geweitet und vielschichtig in Erscheinung treten kann.
Das Krankhafte beim schizophrenen Stupor ist demnach nicht das reduzierte Binnenvolumen und der vermutete Gefahrenhorizont dicht am Individuum. Das Krankhafte sind nicht die motorische Unbeweglichkeit, das Verweigern der Nahrung, das Sichenthalten jeder Wechselhaftigkeit mit dem Außen. Auch nicht die Befremdlichkeit gegenüber dem eigenen Körper. Auch nicht das Stimmenhören, ebenfalls nicht das zu einer diffusen Gegnerschaft zusammengeschmolzene Drumherum, also das Paranoide. Alles Erwähnte ist Resultat der Alarmierungssituation und gehört zum dynamisch organisierten und zielgerichteten Bewältigungsversuch des Organismus, der sich genau auf der Höhe des sich eingestellten, sehr reduzierten Binnenvolumens befindet.
Krankhaft ist vielmehr der anhaltende Verlust höherer, teilweise humanspezifisch-anthropologischer Schichten; dementsprechend das Im-Bann-Bleiben der Angst und das Abgeschaltetbleiben höherer Funktion, die wir benötigen, um zu den anderen zu gelangen und uns den Lebensherausforderungen im Miteinander stellen zu können.
Aus diesem Grund gibt es keine pathologischen Gene, die aus ihrer Funktion heraus das Stimmenhören oder das paranoide Erleben selbst auslösen. Es gibt auch keine Funktionsanomalie des Gehirns, welche diese sogenannten psychotischen Symptome verursacht. Jede Forschung in diese Richtung muss unweigerlich ins Leere laufen, und sie tut es ja auch.
Es gibt nur ein bewegliches, evolutionär gewachsenes Gefahrensystem mit verschiedenen Binnenvolumen und entsprechenden Gefahrenhorizonten in uns, wobei ein spezifisches Binnenvolumen die Oberhand gewinnen kann und alles andere mit sich reißt. Den Aufbau dieses Gefahrenabwehrsystems und sein Verhältnis zur Psychopathologie werden wir im Verlauf unserer
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