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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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Lebensverlauf immer weiter abnimmt. Nicht selbstverständliche Beziehungen aktiv suchen, finden, gestalten und als selbstverständlich leben können, ohne bei deren Infragestellung auf frühere, bereits überwundene Beziehungsbedürfnisse zurückzurutschen, gehört zu den stets unterschwellig vorhandenen und zu leistenden menschlichen Grundanstrengungen.
    Jetzt, wo wir das Zentrum des Seelenlabyrinths erfolgreich verlassen haben und zum ersten Mal in einem lichtem Raum zur Besinnung kommen, wollen wir mit entspanntem Sicherheitsabstand noch
einmal zum Zentrum zurückschauen. Hier und nur hier können wir lernen, welchen strukturellen Aufbaugesetzen die anthropologische Matrix gehorcht, deren Verständnis für unser Unterfangen, Psychopathologie aus der Funktion des Gesunden heraus zu verstehen, so außerordentlich wichtig ist:

Die Strukturgesetze unseres Gefahrenabwehrsystems
    Das Binnenvolumen, jener dynamisch bewegliche Funktionszustand des menschlichen Nervensystems, korrespondiert mit einer bestimmten Situation im Außen. Der Organismus versteht von sich so viel, wie er braucht, um mit einer bestimmten Gefahrensituation zurechtzukommen, auf die dann seine ganze Aufmerksamkeit gerichtet ist. Diese Gefahrensituation ist im Lebensverlauf oder in unserer evolutionären Entwicklung irgendwann physiologisch konkret gewesen. In unserem gerade beschriebenen Beispiel war das die gefährliche Austreibungsphase zum Ende der Schwangerschaft. Eine Gefahr, mit der die Plazenta-Tiere umzugehen lernen mussten. Das konkrete Gefahrenmoment hinterlässt nach seiner Bewältigung einen Gefahrenvermeidungsimperativ, der den Organismus schützt, sich in ähnliche Wiederholungsgefahr zu begeben. In unserem Beispiel die Taphephobie, die davor schützt, sich in engen, kleinen Räumen aufzuhalten, die zu quasiuterinen Fallen werden könnten. In der modernen Welt wird diese pränatale Primärangst z.B. zitiert beim Unbehagen in Fahrstühlen oder bei Tunnelfahrten. Enge und versperrte Auswege schaffen Beklemmungen, die sich zur unerträglichen Angst steigern können.
    Was aber geschieht genau, wenn Angst mobilisiert wird? Welche Auswirkungen hat das auf die Weltinterpretation und auf die innerpsychische Funktionalität im normalpsychologischen Erleben? Dazu ein kleines Selbsterfahrungsbeispiel.

Steckenbleiben im Fahrstuhl
    Stellen Sie sich vor, sie würden in einem Hochhausfahrstuhl alleine durch die Stockwerke fahren. Vielleicht denken Sie gerade über verschiedene Probleme Ihres Lebens nach. Etwa die Steuererklärung, die Sie noch unbedingt abzugeben haben. Oder Sie sind beschäftigt mit einem Beziehungsproblem eines Freundes, in dessen Lage Sie sich gerade nachdenklich versetzen. Plötzlich bleibt der Aufzug mit einem Ruck stehen und das Licht erlischt. Blitzartig ist es finster. Die Steuererklärung wird schlagartig uninteressant. Auch die Probleme Ihres Freundes treten gänzlich in den Hintergrund. Ihre ganze Aufmerksamkeit und Ihr ganzes biologisches Sein ist allein fokussiert auf diese Panik auslösende Gefahrensituation und die Frage: Wie komme ich hier heraus?
    An diesem Beispiel sehen wir, dass das Auftreten der Gefahr unmittelbar zu einer Reduktion des Binnenvolumens führt und führen muss. Die Frage nach der Steuererklärung, die gerade noch brisant war und in höheren Binnenschichten bewegt wurde, wird abgeschaltet, damit kein unnötiger Beschäftigungsballast die Überwindung der jetzt ganz dringlichen und konkreten Gefahrensituation stört. An den Freund wird kein Gedanke mehr »verschwendet«. Unser Einfühlungsvermögen in andere endet bei jeder Form der Ängstlichkeit relativ früh. Uns gelingt kein Überstieg zu den Sorgen der anderen, wenn wir selbst zu sehr in Sorge sind. Deshalb heißt psychisch Kranksein immer auch Entkoppelung von anderen und der Verlust von Gemeinsamkeitsthemen. 11
    Die Panik, die Sie mit voller emotionaler Wucht ergriffen hat, lässt sich als Alarm verstehen, der in Ihrem Gehirn ausgelöst wurde, um unmittelbar und »unüberfühlbar« zu informieren: »Achtung, Gefahr! Drohende quasiuterine, ausweglose Umrundungssituation!« Dieser Alarm wird durch einen evolvierten Mechanismus gegeben, der rasch auftritt und den Organismus dringlichst und sehr erfolgreich in seinen Bann zwingt: die Angst.
    Kurz gefasst: Die Situation löst einen Angstalarm aus, der Angstalarm führt zur Reduktion des Binnenvolumens, und es entsteht die
erwähnte Hochzeit von Sein und Raum. Ist die Gefahr endlich bewältigt,

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