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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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Männchen ein sogenannter Reviermarkierer. Dies bedeutet, das Männchen setzt Duftstoffe ab, mit denen es anderen Männchen die Grenzen seines Reviers kenntlich macht. Männliche Reviereindringlinge werden bekämpft und mitunter auf das Heftigste attackiert, Weibchen hingegen, da sie mögliche Sexualpartner sind, geduldet. Allerdings kommt es nicht zur Haremsbildung. Nach
der Paarung nimmt das Männchen keinen Anteil an der Jungenaufzucht, und auch das Weibchen beschränkt seine Ergänzerfunktion auf den Nestbau, die Reinigung der Jungen nach der Geburt und das Stillen, wobei sie manchmal für mehrere Tage das Nest verlässt und die Jungen als Nesthocker sich selbst überlässt. Nach drei bis vier Wochen verlassen die Jungen selbständig das Nest und suchen sich spätestens zur eigenen Geschlechtsreife, die sie mit sechs Monaten erreichen, neue Reviere, da sie vom eigenen Vater in dessen Revier nicht mehr geduldet werden.
    Über die Paarungsbemühungen hinaus kennt der Zwergtupaja kein Sozialverhalten. Die Eltern bringen dem Nachwuchs keine Weltaneignungskompetenz bei. Zwergtupajaeltern bilden auch keine Paargemeinschaft. Ihre Beziehung bleibt auf den Sexualakt beschränkt. Wie wir bereits in Kapitel 1 an Spocks Tränen erkannt haben, kann dort, wo Emotionalität in der frühen Beziehung fehlt, auch im weiteren Lebensverlauf keine differenzierte soziale Beziehung aufgebaut werden.
Nachteile des Lebens in der Gruppe
    Die ersten Primaten, so vermutet man, lebten ebenfalls baumbewohnend und einzelgängerisch, mit Ausnahme der Begegnung während der Revierverteidigung und des Sexualaktes, ohne Bezug zu anderen Artgenossen. Warum sollten sie auch Gemeinschaft gesucht haben? Leben im sozialen Verband hat ganz offensichtlich Nachteile.
    Veranschaulicht wird dies anhand der durch die Medien geisternden Infektionskrankheiten wie die Vogelgrippe oder die Schweinegrippe, die ihr gefährliches Potential dadurch entladen, dass Individuen, die sehr eng zusammenleben, sich gegenseitig sehr leicht anstecken und sich somit gegenseitig gefährden. Der Erreger der Vogelgrippe kann sich am besten ausbreiten, wenn Vögel Schwärme bilden oder von Menschen auf engem Raum in einer Art Lebensgemeinschaft gehalten werden. Ein einzelgängerisch lebender Vogel hat ein viel geringeres Risiko sich anzustecken, da er viel seltener auf
einen anderen Artgenossen trifft als ein Vogel, der gesellig lebt. Ein weiterer Nachteil von Gruppenbildung kreist um die Probleme der Konkurrenz. In Gruppen konkurrieren deren Mitglieder zum einen um das gemeinsam bevorzugte Nahrungsangebot. Bevor ich eine schmackhafte Nahrungsquelle entdeckt habe, kann schon ein anderer dagewesen sein und sich bedient haben. Auch sinkt unter Umständen die Wahrscheinlichkeit, einen geeigneten Sexualpartner zu finden und Nachkommen zu zeugen, da durch die Weibchen (wie wir wissen aufgrund des höheren Investments in die Nachkommen das wählende Geschlecht) anspruchsvoller verglichen und ausgewählt werden kann. In jeder zusammenlebenden Gruppe kann jemand sein, der in einer von den Weibchen bevorzugten Eigenschaft besser ist als »mann« selbst und der somit von den Weibchen eine Sitzplatzkarte für den Evolutionszug ausgehändigt bekommt, während »mann« selbst leer ausgeht. Diese potentiellen Konflikte des Gruppenlebens machen einen Zusammenschluss von Tieren zunächst enorm unattraktiv. Deshalb hatten unsere Zwergtupaja ähnlichen Vorfahren über viele Millionen Jahre überhaupt keine Veranlassung, ihr Singledasein aufzugeben, und blieben »egoistische« Einzelgänger und »Einzelkämpfer«.
    Unsere engsten Verwandten, die Menschenaffen, sowie fast alle Primaten leben aber, wie wir auch, in Gruppen. Einzige Ausnahme unter den Menschenaffen ist der Orang Utan. Er hat jedoch, wie von den Primatologen vermutet wird, in früheren Zeiten ebenfalls in Gruppen gelebt und diese Lebensweise zugunsten einer überwiegend einzelgängerischen Form als evolutionäre Reaktion auf sich veränderte Umweltbedingungen wieder aufgegeben.
    Wie kam es zu der Veränderung Richtung Sozialität bei unseren Vorfahren und warum wurde Sozialität für sie trotz der erwähnten Nachteile attraktiv? Mit der Beantwortung dieser Fragen nähern wir uns im weiteren Verlauf zunehmend der uns formenden, evolutionär erwachsenen anthropologischen Matrix und den spezifisch menschlichen Psychopathologien, die eine Alarmierungsoption unseres Seins darstellen.

Die Gruppe als notwendig gewordene

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