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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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Küstenregion, hinab bis in das heutige Südafrika. Aber wie können wir die ersten Mitglieder unserer Art finden? Müssen wir uns auf die Lauer legen und auf ihr Kommen warten?

Der Mensch - ein Lärmwesen
    Gingen wir einfach an der Küste entlang, würden wir wahrscheinlich bald auf sie treffen. Von unseren Vorfahren unbeabsichtigt würden wir von ihnen selbst über ihren Aufenthaltsort in Kenntnis gesetzt werden. Dies wäre möglich, weil wir sie längst hören, lange bevor wir sie sehen könnten. Wir würden zwei Dinge schon im akustischen Voraus bemerken, die unsere Art im Besonderen auszeichnet. Unsere Vorfahren würden Geräusche machen, welche durch zwei verschiedene akustische Erzeugungen entstünden. Einmal durch ihre Sprache. Sie würden reden und lachen und streiten und scherzen und schwatzen und loben und keifen. Und zweitens würden sie mit ihren Händen arbeiten und dabei ebenfalls Geräusche erzeugen. Sie
würden Steinwerkzeuge herstellen, Behausungen auf- und abbauen, Netze knüpfen, Speere anschnitzen und Nahrung über dem Feuer zubereiten. Es würde nicht viel anders klingen als in einer modernen Haushaltsküche, in der das Essen von verschiedenen Personen bei angeregter Konversation zubereitet wird.
    Wir würden unsere Vorfahren von weitem hören, weil der Mensch ein Lärmwesen ist, das es sich leisten kann, aufzufallen. Aus dem ehemaligen Raubtieropfer wurde durch 45 Millionen Jahre Evolution selbst das gefährlichste Raubtier der Welt, das sich nicht mehr zu verstecken braucht. Die Erfolgstrias dieses Rollenwechsels wurde gebildet aus einem großen Gehirn, der Sprachfähigkeit und dem manuellen Geschick. In den vergangenen Kapiteln haben wir bereits ausführlich die Grundfunktionen des menschlichen Gehirns in seinem Weltverständnis kennengelernt und sehen können, dass verschiedene psychopathologische Phänomene Verdichtungszitate der psychischen Normalfunktionen darstellen, die selbst evolutionär erklärlich sind.
    Bevor wir uns im zweiten Teil des Buches der weiteren Seelenlabyrintherkundung und ihrer Beziehung zu den psychiatrischen Krankheitseinheiten widmen werden, wollen wir uns zum evolutionären Abschluss mit der Sprache und der Hand genauer beschäftigen. Beide sind ebenfalls involviert in die Normalfunktion des Menschen und in psychopathologische Ausdrucksformen seiner Krisenzeiten.

Wachsendes Handgeschick und seine Folgen
    Die Australopitheciden, von den wir bereits die Arten africanus und aferensis auf unserer Evolutionsreise kennenlernen konnten, besaßen, wie alle noch lebenden Primaten, Hände, die einen sogenannten »power grip« durchführen konnten. Dieser ermöglicht erfolgreich die Handschließung, wodurch es unseren bereits aufrecht gehenden, sich aber weiterhin in Gefahrensituationen auf den Bäumen in Sicherheit bringenden Vorfahren möglich war, sich an den Ästen mit der erforderlichen Kraft festzuhalten. Außerdem waren die Hände der Australopitheciden in der Lage, den Daumen bis zum zweiten Finger hinüberzubeugen,
wodurch ein pinzettenartiger Präzisionsgriff möglich wurde. Darüber hinaus ist die menschliche Hand als die einzige unter den Primaten in der Lage, den Daumen aufgrund von evolutionär erworbenen Veränderungen im Daumengrundgelenk bis zum kleinen Finger zu opponieren. Diese sich allmählich entwickelnde Veränderung erhöhte die Geschicklichkeit der Hand um ein Vielfaches.
    Unsere Hände sind das Organ, mit dem wir die Welt im wahrsten Sinne des Wortes begreifen. Sie sind die Schleuse, durch die praktisch alles hindurch muss, das wir über den Mund in uns hineinlassen. Mit der eigenen Hand Nahrung nicht zu überprüfen, sondern die Darreichung derselben anderen zu überlassen, ist als Kleinkind in dessen Fütterung obligat, für Erwachsene ein Vertrauensbeweis und Intimitätszeichen, im Alter schließlich für viele Menschen das Signal hochgradiger und um jeden Preis zu vermeidender Abhängigkeit. Aber die Handfunktion ist auch symbolisch tätig:
    Verliebte gehen Hand in Hand spazieren und unterstreichen dadurch ihre neue Zusammengehörigkeit. Hände werden mit Ringen geschmückt und mit Farbe an den Nägeln bemalt. Wir reichen uns die Hand zum Gruß und am Händedruck lesen wir die emotionale Bewertung der gemeinsamen Situation durch den anderen ab. Hände werden gestreichelt, gedrückt und geküsst. Die meisten Menschen wünschen sich wohl in ihren letzten Stunden eine vertraute Hand, die die eigene hält. Wenn hier oder an anderen Stellen des

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