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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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sind. Vielmehr gleichen sie eher ineinander gestaffelten und in ihrer Zahl geringen Themenbühnen, die in ihrer Bühnenthematik immer sowohl Entlastung als auch Belastung bedeuten können. Zwischen den stimmig empfundenen Raumverhältnissen, in denen wir uns wohl fühlen, existieren Übergangszonen, in denen wir Unruhe provozierende Zwischenaufenthalte in deren Nichts ertragen müssen. Die Dauer der Leerverhältnisse versuchen wir Raumverhältnissucher immer so kurz wie möglich zu halten. Gesunde spüren dies z.B., wenn sie eine unruhige Langeweile erfasst, die sie mit Tätigkeit und
Aufbruch in ein stimmiges Raumverhältnis zu kompensieren versuchen und dadurch wieder eine stabile Ich-Dichte herstellen. Ist mir langweilig, mag ich nicht herumsitzen. Ich stehe auf, durchschreite den Raum, räume die Spülmaschine aus und alles in Regale und Schubladen ein. Für den Moment ist die Langeweile weg.
    Bei einigen psychopathologischen Auffälligkeiten gewinnt ein bestimmtes Raumverhältnis eine unangemessene Bedeutsamkeit, bei anderen verlieren sich die Betroffenen in den Leerverhältnissen zwischen den zwar unter Umständen Gefahr bergenden, aber eben auch potentiell beruhigenden Raumverhältnissen.
    Unterziehen wir die gestaffelten Raumbühnen, die wir in einem früheren Kapitel schon zusammengefasst als den »Außensorgehorizont« kennengelernt hatten, einer genaueren Analyse und sehen wir, ob und wie sich psychopathologische Symptome, Syndrome und die angeblich existenten nosologischen Einheiten in und zwischen ihnen einordnen lassen können.

15. Bühnen
    Am nähesten, nah, fern, ferner: Wie unser Sein im Raum unser Welterleben prägt
    Die Sorgen- und Bergungsanlässe im Außenhorizont sind zwar vielseitig, das Außen ist aber nicht unendlich nuanciert. Es existieren nur eine Handvoll Weltvariationen, also Raumbühnen, die wir uns nun genauer ansehen wollen. Prinzipiell gelten die gleichen Konstruktionsbedingungen, die wir bereits für die beiden anderen Sorgenfelder, das Innenfeld des Körpers und das Übergangsfeld der Körperoberfläche, kennengelernt hatten. Die Simulation der Welt geschieht im zentralen Nervensystem und erschafft bei ausreichender Stabilität des Systems eine Realitätsnähe, die hinlänglich ist, um über die Anwesenheit von Gefahren rechtzeitig informiert zu werden und sie erfolgreich abzuwehren. Dass dabei Fehlalarmierungen entstehen können, nimmt das evolutionär erwachsene Alarmierungssystem namens »zentrales Nervensystem« in Kauf.
    Aber die Welt besteht ja nicht nur aus Gefahren. Sie birgt auch Bergungschancen: Schutz, Wärme und Nähe zu anderen. Allerdings changiert das Bergende schnell in etwas anderes. Schutz kann in Schutzlosigkeit wechseln, Wärme in Kälte, Nähe in Distanz und Einsamkeit. Die Hintergründe, vor denen sich die Dramatik dieser beständigen Unbeständigkeit entfaltet, sind die Raumbühnen. Auch diese Raumbühnen werden, wie die Sorgen, durch das Gehirn simuliert und in die Welt möglichst fehlerfrei projiziert. Sehen wir uns das genauer an.

Das gestaffelte Welttheater: Die fünf Gefahren- und Schutzräume
Der erste Raum: Mit den Händen zu greifen
    Während Sie dies lesen, sitzen oder liegen Sie wahrscheinlich an irgendeinem Ort. Dieser Ort wird seine Gemütlichkeit haben. Sie konzentrieren sich auf das zu Lesende und werden sich dazu in irgendeinem sicheren Raumverhältnis eingerichtet haben. Sie halten dieses Buch in Ihren Händen. Das formt den ersten Raum. Zunächst »begreifen« wir von der Welt so viel, wie wir mit den Händen begreifen können. Der erste Raum im Außenhorizont, wir erinnern uns, reicht von Ihrem Körper bis zu dem ersten Raumsaum, den sie um sich herum mit den Händen erreichen. Wenn Sie konzentriert lesen, ist im Fokus der bewussten Aufmerksamkeit dieser Raum ganz im Vordergrund. Voraussetzung für die Konzentrationsfähigkeit auf das Buch ist, dass die Hände nicht zu viel zu tun haben, außer z.B. das Buch zu halten. Gefährliches im ersten Raum kann mit den Händen unmittelbar entfernt und somit ein Sicherheit gebender Abstand geschaffen werden. Der erste Raum konzentriert sich auf ein singuläres Objekt, das angesehen, betastet, berochen und zum Mund geführt werden kann. Intimität finden heißt für uns Menschen in Entsprechung dazu, willkommen eintauchen dürfen in das erste Raumverhältnis eines anderen.
Der zweite Raum: Der persönliche Nahbereich
    Der nächste Raum, der einen größeren Umfang besitzt, ist der unmittelbare Raum

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