Die Logik des Verruecktseins
um Sie herum, der wenige Schritte über die Handreichweite hinausgeht. Vielleicht mit dem Ausmaß des Sofas, auf dem Sie gerade sitzen, das Bett, auf dem Sie liegen, oder der »Tischraum«, an dem Sie Platz genommen haben. Die Größe des zweiten
Raums ist bereits, wie die dann folgenden Räume, dynamisch in seiner Größe und abhängig von den Ereignissen, die in ihm und an seinen Rändern stattfinden. Seine Inhalte können nicht mehr selbstverständlich mit der Hand exploriert und unter Umständen entfernt werden, was sie potentiell gefährlicher macht. Es halten sich in der zweiten Raumbühne darüber hinaus nicht ein singuläres Objekt auf, sondern viele, die die Person von allen Seiten umgeben können. Man kann sich auf sie zubewegen und sie dann »handhaben«, sie können sich aber auch auf die Person zubewegen und dieser gefährlich werden. Täuschungen über die Inhalte des zweiten Raums sind viel leichter möglich als Täuschungen über den Inhalt des ersten Raums, da die zur Verfügung stehenden Informationen über die Inhalte viel geringer sind und gleichzeitig numerisch gesehen mehr beachtet werden muss. Der erste Raum und sein singulärer Inhalt kann über verschiedenste Sinnesmodalitäten geprüft und erfolgreich und treffsicher in die Welt der ersten Raumbühne projiziert werden. Der zweite Raum ist bereits deutlich mehr Bühne und virtueller in seinem Entwurf und seine Inhalte sind distanzierter. Der Sehapparat als die Hauptinformationsquelle kann nur eingeschränkt unterstützt werden durch das Gehör und den Geruchssinn, die Hand als Welterfahrungsorgan fällt als Informationsquelle weg, ebenso der hypersensible Mundbereich, mit dem kleine Kinder zunächst »handgleich« die Welt explorieren, wie auch der Geschmackssinn.
Aufgrund der Distanz zur Person ist der zweite Raum durch diese selbst interpretationsbedürftiger und somit auch in seinem Erkennungs- und Identifizierungsausmaß fehleranfälliger. Seine Inhaltsprojektionen neigen zur thematischen Generalisierung und sind etwas größer als die Objekte im ersten Raum. Wird etwas im zweiten Raum identifiziert, ist es wahrscheinlich, dass etwas anderes dem gerade eben identifizierten Inhalt gleicht. Kommt eine Gefahr in diesem zweiten Raum von vorne auf mich zu, muss ich darauf achten, ob die gleiche Gefahr nicht gleichzeitig aus einer anderen Richtung ebenfalls auf mich zudrängt.
Im Gegensatz zur ersten Raumbühne, die mit den Armen umschlossen werden kann, beginnt mit der zweiten Raumbühne der Umrundungsaspekt
der Welt mit meiner Person. Behaglichkeit im zweiten Raum entsteht, wenn dieser dicht an uns seiende Raum Sicherheit vermittelt. Sicherheit zum einen durch von ihm und seinen Inhalten ausgehenden Schutz oder seiner ausreichenden Berechenbarkeit und Harmlosigkeit. Er muss dazu möglichst so aus- und angerichtet sein, dass der nächste Raum dahinter, die dritte Raumbühne, akustisch und/oder optisch überwacht werden kann. Die meisten Menschen lieben es nicht, in öffentlichen Räumen, etwa in einem Restaurant, mit dem Rücken unmittelbar an der Tür zu sitzen. Durch diese Position ist keine optische Überwachung möglich, wer eigentlich den Raum betritt, und die Behaglichkeit stellt sich nicht ein.
In den zweiten Raum hinein dehnt sich unsere Person über den ersten Raum hinaus aus und wir nehmen Besitz von diesem Raum. Wir durchtränken ihn mit unserer Personalität. Setzt sich in einer Kneipe jemand ungefragt mit an den Tisch, nehmen wir dazu irgendwie innerlich Stellung. 71 Autofahren bedeutet den zweiten Raum mobil mit sich herumzutragen und sich durch einen weiten Raum in der Sicherheit des mit der eigenen Persönlichkeit durchtränkten zweiten Raums zu bewegen. Daher rührt die hohe Emotionalität und Rechthaberei im Straßenverkehr. Es geht oftmals nicht nur darum, sich von einem Punkt zum anderen zu bewegen, vielmehr treffen auf der Straße mit den Autos und ihren Fahrern mobile, akustisch abgeschirmte Zweite-Raumbühnen-Reviere aufeinander, die auch dementsprechend aggressiv verteidigt werden. Autos wurden nach ihrer Erfindung zu einem raschen Welterfolg, weil sie einen uralten und bis dahin eigentlich unmöglichen Erfahrungstraum erfüllen: In der Sicherheit einer Zweite-Raumbühnen-Wohnzimmer-Atmosphäre immer rasanter das gefährlich unbekannte Außen explorieren. Auch der Erfolg des Fernsehens erzählt davon. Ohne auch nur einen Schritt aus der Zweite-Raumbühnen-Komfortzone heraus zu machen, überall dabei sein können und
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