Die Logik des Verruecktseins
in der ersten Reihe sitzen: bei Abenteuern in fernen Ländern bis zu Trivialitätsgesprächen von in Containern eingesperrten Individuen, die untereinander aufgrund des Ausgangverbotes eine erzwungene, gegenseitige Zweite-Raumbühnen-Diffusion erdulden »müssen«, mit allen daraus entstehenden affektiven Entladungen, die aus
der eigenen Zuschauerkomfortzone mit Genuss und Sicherheitsabstand voyeuriert werden kann.
Der dritte Raum: Die anderen um mich
Der dritte Raum, der wieder ein wenig größer ist und sich weiter von der Person ausgehend in die Welt hinausdehnt, entspricht in etwa der Größe des Zimmers, in dem Sie sich gerade befinden. Auch seine Größe ist dynamisch, er darf aber auf der einen Seite nur so groß sein, dass er sehr gut überschaubar ist, auf der anderen Seite darf er auch nicht klaustrophobisch beengend klein konstruiert sein. Architektur bemüht sich, diesen evolutionär gewachsenen Raumwünschen entgegenzukommen. Ein Wohnzimmer etwa sollte nicht so klein sein, dass mehrere in ihm befindliche Personen sich voneinander beengt fühlen, aber auch nicht so groß, dass Entfernungsentfremdungen im Raum auftreten können. Schon vor der Sesshaftwerdung errichteten unsere Vorfahren Behausungen, die der dritten Raumbühnenerwartung eine reale Ausformung gaben. Davor suchten Menschenvorläufer entsprechende Bergungsverhältnisse in Höhlen oder ähnlichen Unterschlupfen auf, die wie ein Basislager als Rückzugsort von den Erkundigungen in der noch viel weiteren und unübersichtlichen Natur fungierten. Die Objekte der dritten Raumbühne sind noch vielzähliger als die Objekte der zweiten Raumbühne. Vor allem erscheint obligatorisch in/auf ihr als anthropologische Erwartung der Artgenosse. Dies ist aber keinesfalls eine humanspezifische Erwartung. Die dritte Raumbühne beinhaltet seit der »Erfindung« der Sozialität den anderen als Erwartungsmoment. Dieses ist, Sie erinnern sich, wiederum zweigesichtig: der andere als Schutz und der andere als Bedrohung. Was auch immer ein anderer einer Person in einem bestimmten Moment ist, er ist vor allem mit hoher Wahrscheinlichkeit anwesend. Evolutionär betrachtet, ist der andere schon viel länger ein Darsteller auf der dritten Raumbühne, als sich Menschen mit Worten ansprechen können. Der andere ist anwesend, aber nicht unbedingt im verbalen
Kontakt mit mir. Die Objekte auf dieser Weltbühne sind noch einmal weiter von der Person entfernt und noch schlechter zu überblicken. Aufgrund der Größe der Rundumbühne muss noch viel mehr in Auge und Ohr behalten werden und die Flüchtigkeit der Informationsaufnahme über die Sinne ist deshalb noch einmal größer, weshalb Verwechslungen über den Raumbühneninhalt hier noch schneller geschehen können.
Das Bühnenthema ist das Schauspiel der anderen und ihr Bezug miteinander im Verhältnis zur eigenen Person. Dem schon beschriebenen Kreuzfeuer der Blicke, das vom dritten Bühnenraum ausgeht, muss die ganze Aufmerksamkeit gelten und seine jeweilige Bedeutung gedeutet werden. Was halten die anderen von mir? Was haben die anderen miteinander? Bin ich in diesem Miteinander positiv involviert? Sind die getauschten Blicke wohlwollend, ermunternd, prüfend oder bestrafend? Droht mir etwa sogar die Ausgrenzung aus der Gruppe? Zeigen sich irgendwelche Anzeichen dafür, dass ich die Achtung der Gruppe und ihren Schutz verlieren könnte?
Die größte Gefahr der frühen sozial lebenden Primaten bestand in der Ausgrenzung aus der Gruppe. Wer schon rein ortsbezogen an den Gruppenrand gedrängt wird, da die anderen ihn vielleicht nicht mehr dabeihaben wollen, ist dort der realen Raubtiergefahr, welche die Gruppe umrundet, am stärksten ausgeliefert. Wer nicht mehr richtig erwünscht ist, der steigt auch nicht in den evolutionären Zug ein und schickt seine Gene nicht mehr auf Zeitreise. Kleinste nichtsprachliche Zeichen müssen daher gelesen werden und mit ihrer Hilfe auf die dahinterstehende Realbedeutung geschlossen werden können. Warum geht der an mir vorüber? Warum stehen die beiden zusammen? Soll ich aktiver in die Gruppe hineinhandeln und mich mehr zeigen, oder soll ich lieber defensiv zurückgenommen handeln und mich nicht aufspielen und abwarten, bis die anderen wieder auf mich zukommen?
Die Person steht, wie bei den bereits kennengelernten ersten beiden Raumbühnen auch, im Zentrum des dritten Raums und seiner Inhalte. Alles, was hier geschieht, rutscht in seiner Bedeutung zu mir herüber. Alles kann Zufall sein,
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