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Die Lokomotive (German Edition)

Die Lokomotive (German Edition)

Titel: Die Lokomotive (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Nesch
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ist der Vater der Enttäuschung, auch ein Spruch, den Francescas Eltern auf einer Kachel an der Wand im Badezimmer hängen hatten.
      Sogar ein Benzinfeuerzeug. Das konnte ich in der Tat gebrauchen als Licht, als Behelfslaterne. Oder? „Oder lügen Sie mich wieder an?“
      „Nein.“
      „Ich soll mir nur wieder einen abreißen, und dann bekomme ich zu hören: es war ja nur zu ihrem Besten.“
      „Nein, ich habe ... es steckt in meiner Jacke, ich spüre es, es ist noch da, ich habe es nicht verloren.“
      „Dann probieren Sie es aus. Durch das Licht sehe ich, wo Sie und ihr Feuerzeug sind!“, selbstzufrieden über die Idee meiner Versicherung schickte ich ein Lächeln meinen Worten hinterher.
      „Ich komme nicht dran. Sonst hätte ich das schon längst getan, Herr Ochs.“
      „Hah!“
      „Sie müssen mir glauben.“
      „Ich muss Ihnen glauben. Einen anderen Grund gibt es auch nicht mehr, Ihnen zu glauben.“
      Zwischen meinem Atmen hörte ich sein schweres Stöhnen. Ich schaute nach oben, als könnte ich von dort einen Rat bekommen. Aber durch die Dunkelheit wurde mir vielleicht möglich, Lichtspalten zu erkennen, durch die das Tageslicht schien. Nicht hier, aber eventuell woanders. Oder war die Sonne bereits untergegangen, war es bereits Nacht? 
      „Glauben Sie, es ist schon Nacht, Herr Baehr?“
      „Nein, warum?“
      „Sicher?“
      „Es müsste Nachmittag sein. So lange liegen wir nun doch noch nicht hier. Das glaube ich nicht. Auch wenn ich zwischendurch ab und zu einmal weg war. Außerdem wären wir dann schon längst in der Flut ertrunken.“
      Ich überlegte, es gab keine Alternativen, also sagte ich, „Dann komme ich, ich versuche zu Ihnen durchzukommen, wie auch immer, was soll’s.“
      „Gut.“
      Wie sollte ich ihn finden? Es war stockdunkel. Ich müsste schon gegen ihn kriechen.
      Aber was dachte ich da? Wir lagen weder in der Wüste noch im Dschungel, es gab nicht unzählige Wege von mir zu ihm, sondern nur einen, wenn überhaupt.
      Selbst wenn ich ihn nicht treffen würde, oder wenn er gar kein Zippo hatte, vielleicht wäre es möglich, so nahe an ihn heranzukommen, dass wir einander sehen konnten, vorausgesetzt das Licht schaltete sich noch einmal an.
      Die Idee gab mir Kraft, beinahe hatte ich bei dem Gedanken ein Kribbeln im Bauch. Die Chance, noch einmal einen lebendigen Menschen zu sehen.
      Im ungünstigsten Fall käme ich etwas näher an Herr Baehr heran, im besten Fall könnte ich ihm helfen, ihn von seinen Trümmerteilen befreien, die ihn zu Boden drückten. Das war der Versuch wert.
      Es gab nur ein Problem. Er könnte jetzt neben mir liegen, und ich würde ihn nicht sehen, es sei denn, ich würde ihn hören, sein Atmen.  Er musste nach mir rufen, oder besser, er müsste mir etwas erzählen, und ich musste mich von jetzt ab an seiner Stimme orientieren.
      Ich rief, „Wir müssen uns unterhalten. Sie erzählen mir etwas, damit ich die Richtung besser erkennen kann.“
      „Gute Idee. Was möchten Sie hören?“
      Was ich hören mochte? Nichts, was mit unserer Situation zu tun hatte, und auch nichts mit Ziegler.
      „Erzählen Sie mir ... von ... ihrer Jugend, der Zeit vor dem Krieg.“
      „Ich war auch noch jung im Krieg.“
      „Erzählen Sie mir davon.“
      „Das möchte ich lieber nicht.“
      Ich bereute meine Taktlosigkeit, weiter nach seiner Zeit in Stalingrad oder in der Gefangenschaft zu fragen.
      „Erzählen Sie mir aus ihrer Kindheit.“
     
     
    „Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, Strühlow, im schönen Pommern ...“
      Durch den dunklen Berg aus Schrott drang die Stimme Herrn Baehrs wie eine akustische Boje der Zuversicht. Auch wenn ich die Richtung lediglich grob orten konnte, machte ich mich auf meinen schwarzen Weg. Blind tastete ich mich mit beiden Händen voran, befühlte kalten Stahl und drückte an Seite, was sich bewegen ließ.
      „Auf dem Land wächst man auf den Feldern auf. Solange ich mich zurückerinnern kann, habe ich mit meinen Eltern dem Gutsherrn bei der Ernte geholfen ...“
      Er sprach leise, leiser als zuvor, und langsamer, als ob sich die Entfernung der Vergangenheit auf die Lautstärke seiner Stimmbänder niederschlug.
      Da erzählte mir jemand, den ich nicht kannte, in absoluter Dunkelheit seine Lebensgeschichte, während ich versuchte, einen Weg zu ihm oder aus diesem Labyrinth zu finden. Und er erzählte von einer Zeit, die mir fremd war, und in der noch niemand an

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